Feldpostbrief, 29. November 1917
Les Rues des Vignes, den 29. Novb. 1917,
Donnerstagabend um 4 Uhr.
Keller der Ortskommandantur
Mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!
Auch heute bin ich noch hier. Aus der Sache heute morgen ist nichts geworden. Gründe sind mir unbekannt. Ob nun morgen? Befehle sind noch nicht da, allerlei Vorbereitungen aber bereits getroffen.
Soeben wurden wir telefonisch vom Rgt. benachrichtigt, daß 29 russische Divisionen mit unsern Truppen einen Waffenstillstand abgeschlossen haben u. daß unsere Oberste Heeresleitung mit der russischen verhandle. Das muß demnach amtlich sein u. ist kaum noch zu bezweifeln. Wo aber einmal ein Waffenstillstand geschlossen ist, da wird auch niemand wieder zu den Waffen greifen. Über die Folgen kann ich mir kein rechtes Bild machen. Aber hoffentlich ist's der Anfang vom Ende.
Ich habe dem treuen Gott wieder viel zu danken. Im Hause der Ortskommandantur hatte ich mir gestern ein nettes Zimmer zurecht gemacht. Es fing dort an, gemütlich zu werden. Bis 8 Uhr heute morgen hatte ich im Bette gelesen. Schlafen konnte ich wegen des heftigen englischen Feuers nicht. Da wurde auch das Dorf beschossen. Ich ging hinaus u. war kaum 5 Minuten draußen, als ein Aufschlagschrappnell durchs Dach ging. Genau über meinem Bette wars krepiert. Die Matratze wie ein Sieb u. ein als Kopfkissen dienender Sandsack mit Werg hatte ein großes Loch! 5 Minuten vorher lag dort mein Kopf. - Sofort bezogen wir den Keller. Kaum 1 Stunde später sauste ein Schrappnell durch die Kellertür. Tröster mehrfach ganz leicht verwundet, mein Schreiber etwas schwerer. Ich stand 2 m seitwärts. - Dankt Ihr Gott mit mir! Er wolle weiter helfen. Seid alle drei herzlichst gegrüßt u. geküßt von
Euerm treuen Vater.