Feldpostbrief, 28. November 1917
Les Rues des Vignes bei Crèvecoeur
Ortskommandantur 28./11.17.
Mittwochnachmittag 2 Uhr.
An mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!
Gestern Abend kam wieder etwas Post. Heute morgen auch. Und diesesmal waren auch 2 Briefe von Dir mit dabei. Der vom Dienstag u. der vom Buß- u. Bettag.
Ich habe mich sehr gefreut, zumal ich glaubte, daß Postsperre sei. Ob Du nun auch Post bekommst? Hoffen kann man es, da Du ja von 8 Briefen schreibst, die auf einmal gekommen sind.
Von Cambrai konntest Du am Buß- u. Bettage noch nichts wissen (21.11.), da der erste Bericht erst in der Landeszeitung vom 22.11. steht. Deine Sorge verstehe ich, besonders, wenn die Briefsperre tatsächlich bestehen sollte.
Meinen schönen Stollen am Kanal de L'Escaut habe ich gestern Abend schon wieder räumen müssen, da mich die 5. Komp. vom akt. Rgt. 99 dort ablöste. Ich liege nun in einer Bereitschaftsstellung hinter den 3 andern Kompagnien. Die haben den Dorfrand besetzt, u. ich selbst liege mit der Kompagnie im Dorfe. Die Leute liegen in Kellern u. Stuben. Ich selbst bewohne ein Zimmer in der früheren Ortskommandantur. Die Hälfte der Fensterscheiben ist durch aufgenagelte Dachpappe ersetzt. Aber ein Ofen hält die Bude wenigstens so einigermaßen warm. An Kohlen fehlt's nicht. Große Haufen liegen aufgestapelt. Wer hat denn auch hier an Engländer gedacht? Mitten im tiefsten Frieden hat man gelebt, als das Unglück hereinbrach. Ein Feldrekrutendepot hat hier gelegen u. alles in Stich gelassen. Was für Werte vernichtet werden, davon habt Ihr keine Ahnung. Ich habe gestern allein für Tausende von Mark reine Schafwolle sammeln lassen. Ob sie noch zurückgeschafft werden kann? Wir wollen's hoffen
Gestern haben die Engländer wieder mit ungeheuren Kräften angegriffen. Bei Bourlon u. Fontaine (dicht bei Cambrai). Auf einzelnen Stellen sind sie wieder zurückgeworfen. Genaueres weiß ich noch nicht. Mit der dem Engländer eigenen Zähigkeit wird er natürlich weiter angreifen u. schließlich auch sein Ziel, Cambrai, erreichen. Opfer scheut er ja nicht. Da mag's denn vollkommen richtig sein, daß wir morgen versuchen sollen, die Erfolge des Gegners durch Gegenangriff zu verringern. Furchtbar schwer wirds werden, u. riesige Verluste wirds geben, aber unsere Heeresleitung wird schon wissen, weshalb es nötig ist.
Ich mache ja nun trotz meiner 38 Monate Krieg einen Angriff zum erstenmale mit u. weiß genau, was das bedeutet. Ich bin natürlich aufgeregt u. unruhig. Aber in Lebensgefahr stand ich ständig, u. mehr wird ja auch morgen nicht sein. Einen Angriff des Feindes abwehren, ist gewiß nicht leichter. Und dem geht tage- u. stundenlanges Trommelfeuer voraus. Das entnervt natürlich mehr als ein Angriff. Und darum wollen wir fest dem Herrn vertrauen. Er kann helfen. Und beten wollen wir für unsere gute, reine, deutsche Sache, die unser Gott doch nicht verlassen wird u. die so oft nun schon in größter Gefahr war. Wenn Du diesen Brief erhältst, mein Lieb, dann hast Du hoffentlich auch von deutschen Erfolgen bei Cambrai schon gelesen!
Hier können wir uns auch nicht halten. Vor uns hat der Gegner eine beherrschende Höhe besetzt. Hinter uns ist der breite Kanal. Bei einem ernsten engl. Angriff geht alles, was vorn liegt, verloren. Da ist gar kein Zweifel. Und solche Stellungen sind immer furchtbar. Da fehlt einem von vornherein das Vertrauen auf den Sieg beim feindlichen Angriff. Und das ist die Hauptsache.
Du glaubst also, Liesi, daß alle meine Briefe überkommen. Das freut mich sehr. Daß sie sich arg verzögern bei unserm häufigen Hin und Her ist selbstverständlich. Urlauberbriefe scheinen nur in einzelnen Fällen besonders früh anzukommen. Aber man hofft doch immer noch auf schnellere Beförderung u. gibt sie deshalb mit.
Du fragst auch nach meinem Fieber, Liesi! Ich fühle gottlob gar nichts mehr u. mache mal wieder scheinbar die Erfahrung, daß es mir draußen am besten geht.
Du hattest auf Ruhe bis Weihnachten gehofft? Das wäre ja nun ein bischen sehr viel verlangt gewesen. Das kann man bei den Angriffen u. Anstrengungen unserer Gegner auch nicht erwarten. Aber mit einer etwas ruhigeren Stellung hatte ich auch gerechnet.
Daß Du nicht gern allein mit nach Detmold oder sonst zu Verwandten gehst, verstehe ich, Liesi! Ich weiß, wie dann Erinnerungen auf Dich einstürmen, die Dir alle Stimmung nehmen. Aber trotzdem solltest Du zuweilen gehen! Bub u. Helmchen oder schon einer von beiden Lieblingen helfen doch über manches weg. Schade, daß Bub die Photographie vergessen hat!
Wie ich den Buß- u. Bettag verlebt habe? In aller Ruhe noch u. in Sysseele. Ich schrieb Dir's ja auch schon. Du schreibst von mächtger Sehnsucht. Ich kenne das. Mich hat sie heute gewaltig gepackt. Aber was hilft's? Wir müssen aushalten, u. Du hast recht, wenn Du meinst, daß wir immer dankbar bleiben müssen, weil Gott bisher so gnädig mit uns war!
Helmchen scheint nun viel zu singen. Der liebe kleine Junge! Wolle Gott ihn uns doch erhalten u. uns beide auch ihm! An dem haben wir, glaube ich, noch recht oft Freude. An Bubi - wills Gott - natürlich hoffentlich auch. Daß er uns beide lieb hat, weiß ich!
Dein Befinden hat sich inzwischen hoffentlich ganz gebessert! Im Allgemeinen hat's Dir doch scheinbar gut gegangen, u. Influenza lag doch jetzt überall in der Luft.
Augusts Brief war beigelegt. Auch über den hab ich mich sehr gefreut. Grüß August zunächst wieder u. alle andern Lieben auch! Küß mir beide lieben Jungen u. laß uns alle dem treuen Gott befohlen sein! Hoffentlich kann ich bald gute Nachricht geben!
Laß Dich herzen u. küssen, mein Lieb u. sei innig gegrüßt von Deinem Dir stets dankbaren u. treuen
Paul.