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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1917, 3.9

23.11.1917
Sysseele, Niederlande, Niederlande

Feldpostbrief, 23. November 1917


Sysseele bei Brügge, den 23. Novb. 1917, 
Freitagmorgen um 1/2 11 Uhr.

Mein liebes, liebes Lieschen!

Immer noch in Sysseele! Seit gestern morgen sind wir zum Abtransport fertig u. warten ständig auf näheren Befehl. Gestern abend kam dann endlich Bescheid, daß vor heute mittag mit Abfahrt nicht zu rechnen sei, u. heute morgen kam vorläufiger Befehl, daß wir heute Abend um 7 Uhr verladen werden.

Es gibt ja nun Leute, welche sagen, jeder Tag sei ein Gewinn, der so herumgehe. Sie haben recht. Aber mir ist dies untätige Warten eine Qual. Mir geht's auf die Nerven. Und unsern Leuten tut's auch nicht gut. Dienst wird absichtlich nicht mehr abgehalten. Zur Bahn ist's ein ziemlicher Marsch, u. wer weiß, was uns dann blüht! Da schont man die Kräfte soweit es irgend geht. Und dabei sind mir in letzter Nacht 4 Leute entlaufen. Schlechteste Elemente natürlich, um die es sicher nicht schade ist. Und feige Burschen sind's vor allen Dingen. Die haben natürlich längst gehört, daß wir eingesetzt werden u. haben aus lauter Angst das Weite gesucht. Die Kerle haben sich sicher verabredet. Der Rädelsführer scheint mir ein junger Bursche zu sein, der in Flandern schon einmal beim Einrücken in Stellung sich entfernt hatte u. auch bis Herbesthal gekommen war. Er hätte ja fest in Untersuchungshaft sitzen müssen. Nun hat er noch andere mitverführt.Auch schlechte Gesellen. Aber mich ärgert's doch ganz gewaltig.

Mittags 1 Uhr. Mein Lieb, soeben komme ich vom Bataillon. Wir marschieren um 4 Uhr hier ab. Um 7 Uhr sollen wir in Maldegem verladen werden. Wohin es geht, weiß keiner. Aber ein Zweifel ist auch kaum. Gestern morgen kamen so die ersten Gerüchte über die großen englischen Erfolge bei Cambrai. Der Heeresbericht in der Zeitung gestern Abend bestätigte leider das meiste. Marcoing, die schöne Stadt, verloren mit Hoffmanns Stärkefabrik; die Stadt, in der wir im Mai 1916 noch so schöne Tage verlebt haben. Auch Graincourt. So sind die Engländer leider Gottes dicht heran an der großen Stadt Cambrai. Von allen Seiten. Sie werden natürlich alles versuchen, die Stadt noch in diesem Jahre zu bekommen. Das wäre ja auch ein Riesenerfolg, durch nichts wieder gut zu machen! Und die Franzosen werden St. Quentin zu erobern versuchen. Das würde dann in die Welt hinausposaunt werden. Die Gegner schöpfen neuen Mut.

2 Uhr nachm. - Draußen ist schönster Sonnenschein. Nun, für die Kämpfe mag's völlig einerlei sein. Eine Kampfpause wird's im ganzen Winter kaum geben. In Flandern hindert allerdings das Wasser alle weiteren Operationen. Dafür geht's nun sicher bei Cambrai umso toller los.

Vorhin kam's l. Batl. hier durch. Koßmann hatte den neuesten Bericht. Danach gehts immer noch böse her bei Cambrai. Aber andererseits scheinen die wilden Gerüchte von gestern doch glücklicherweise arg übertrieben zu sein. Danach sollten nämlich die Engländer nicht bloß Fontaine u. Hendecourt haben - was wohl stimmen wird - sondern sie sollten in Sandemont stehen. In unserm schönen Sandemont vom letzten Sommer. Wir haben's geglaubt. Denn unser Heeresbericht ließ viel zwischen den Zeilen lesen. Was wäre dann an Artillerie, an Bagagen, an Material verloren gewesen! Als ich letzte Nacht mal wach wurde, hat mich der Gedanke daran nicht wieder schlafen lassen. Wenn man nur erst mal Genaueres wüßte! Gerade bei so bekannten Gegenden tut's mir immer leid, wenn Gelände verloren geht. Man weiß, wieviel Blut wir früher dort gelassen haben, kennt all die vielen schönen Friedhöfe genau, die in des Gegners Hand fallen. Natürlich nur als Trümmerfelder.

Erstaunt war ich, als gestern Abend noch Post kam. Damit hatte niemand mehr gerechnet. Und nun gar so liebe Post noch. Auch Dein lieber Brief vom letzten Sonntag schon. Da schreibst du vom Paket, das Bruns gebracht. Ich freue mich, daß ich nicht bloß den Jungen eine Freude gemacht habe, sondern vor allem auch Dir, Liesi! Eigentlich sind so Urlauberpakete doch eine schöne Sache! Wie manche wirkliche Freude hast Du mir doch auf diese Weise schon gemacht, u. wie oft habe auch ich Dich schon erfreuen dürfen! Einer zeigt dem andern ja gottlob doch so gern die stille, treue, dankbare Liebe! Und ich fühle mich dann jedesmal so froh u. glücklich. Auch gestern Abend, als Dein lieber, lieber Sonntagsbrief kam. Wie schön soll doch Weihnachten werden, wenn unser aller Wunsch erfüllt werden sollte! Der treue Gott mög's doch in Gnaden geben! An Helmchen hatte ich ein kleines Paketchen mit Seemuscheln geschickt. Ob er's bekommen hat? Sag doch dem Bubenjungen auch, wie ich mich freuen würde, wenn er wenigstens etwas singen kann. Mein Befinden ist gut. Temperatur habe ich nie mehr.

Gott befohlen, mein heißgeliebtes Lieschen! Er wolle helfen! Grüß u. küß die I. Jungen u. sei auch Du geherzt u. geküßt von Deinem Dir stets dankbaren und treuen

Paul.

23.03.2013 в 01:05


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