Feldpostbrief, 14. November 1917
Westkappelle, den 14. November 1917,
Mittwoch, abends um 1/2 10 Uhr.
Mein liebes, gutes Lieschen!
Ich bekam heute abend schon Deine beiden lieben Briefe vom Freitag u. Sonntag-Montag. Denk nur: Vom Montagmorgen! Also vorgestern! Gestempelt in Lage 12/11, 11-12 v. Das habe ich lange nicht mehr erlebt. Solche Grüße sind aber doppelt lieb. Und weil mir's heute Abend wenigstens so einigermaßen geht, will ich auch gleich antworten. Du bist immer so fleißig mit Briefeschreiben gewesen, Liesi! Und ich habe gerade jetzt so wenig antworten können. Daß ich nichts so gern tue, als brieflich mit Dir zu plaudern, das weißt Du genau, Liesi! Und daß kurze Kartenbriefe nichts mit mehr oder weniger heißer u. treuer Liebe zu tun haben, fühlst Du wohl ebenso genau.
Ob ich mit Deiner Beantwortung meiner Fragen zufrieden bin? Durchaus. Besonders mit Punkt 5. Zahlen will ich ja nun auch gar nicht mehr wissen. Wenn Dir die "Kleider mit jedem Tage' fester" sitzen, dann genügt mir das. Und ich hätte aus dem Grunde schon mein Lieschen noch mal so lieb - wenn's noch möglich wäre. Bleib nun so dabei, zunächst wenigstens mal bis Weihnachten! Dann hoffe ich doch kommen zu können, wenn's mir bis dahin gut geht. Schick wenigstens vorher kein Weihnachtspaket ab! Nötigenfalls lasse ich's holen. Und schlimmstenfalls kann ich auch mal Weihnachten ohne ein Paket feiern. Ich las jetzt in den Zeitungen von Weihnachtssendungen u. erschrak, daß wir schon wieder soweit sind.
Dann fragst Du nach den Photographien. Für Waddenhausen war nur eine bestimmt. Du schreibst von Photographien, die Du durch Lieschen hingeschickt; eine sollten die Eltern haben - warum haben sie die noch nicht? - u. eine Onkel Karl. Die kann vielleicht zum Geburtstage, am 22.11., noch hinkommen.
Daß meine Briefe so spät dort ankommen, ist mir vollkommen rätselhaft. Gerade darum gebe ich ja so oft als möglich Urlaubern Postsachen mit. Den am 1.11. geschriebenen hat auch tatsächlich mein Pferdebursche mitgenommen. Sieh doch bitte mal nach, wann u. wo der gestempelt ist. Das interessiert mich denn doch sehr! Und wenn Du dann mal die Zeit findest, schreib doch auch mal, von welchen September-Oktober- u. Novembertagen Du keine Briefe hast! Es scheint mir beinahe, als wenn kaum die Hälfte meiner Briefe überkommt. Dann verliert man natürlich alle Lust zu schreiben. Und ich würde Beschwerde bei der Division einreichen.
Den Brief vom 5.11. hatte mir mein Küchenfahrer, der alte brave Simon Wüstenbecker aus Kirchheide, ebenso wie Utffz. Liese, ein Schüler Willis, besorgt. Der hätte zweckmäßiger auch das Paket besorgt, das nun Bruns am 18.11. bringen wird. Hoffentlich schreibt Br. Dir zeitig genug!
Dann fragst Du nach meiner Meinung wegen des Friedens. Ich habe es mir so nach u. nach abgewöhnt, in dieser Beziehung Optimist zu sein. Aber soviel steht wohl fest: Günstiger war unsere Lage nie. Und wenn in Rußland Lenin am Ruder bleibt u. wir Italien auf die Knie zwingen, dann wird England als klug rechnender Geschäftsmann bald einsehen, daß alles weitere Kämpfen nicht mehr vorteilhaft ist. Dazu kommt, daß im Innern scheinbar ein neuer Burgfriede zustande gekommen ist. Die neuen Männer haben gute Namen. Mögen sie berufen sein, den Deutschen Frieden zu schließen!
Mir tut's auch leid, daß Bub so oft gestraft werden muß. Deinetwegen. Aber gerade darum danke ich's Dir doppelt, Liesi, daß Du streng durchgreifst. Daß ich ihn mit' nichts dergleichen durchlassen würde, weißt Du auch. Und ich möchte doch auch nicht, daß Bub gleich alle Liebe zum Vater verlöre, wenn ich beim Frieden sollte heimkehren dürfen. Auch Weihnachtslieder muß er können. Sonst wirds Christkind ganz sicher mehr an Helmut denken. Ich bin froh, daß der Dir so viel Freude macht u. denke oft, mit Bubi könnt's genau so sein, wenn Du ihn Dir erzogen hättest.
Gute Nacht, mein liebes Frauchen, u. Gott befohlen!
Dein tr. Paul.