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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1917, 3.3

09.11.1917
Westkappelle, Niederlande, Niederlande

Feldpostbrief, 9. November 1917


Westkappelle, den 9. November 1917, 
Freitagmorgen um 9 Uhr.

Mein liebes, liebes Lieschen!

Heute morgen geht's mir gottlob wieder besser. Da will ich aber auch sofort schreiben. Du hast leider Gottes nun lange genug auf einen vernünftigen Brief warten müssen u. nun doch fast einen ganzen Monat lang mit Kartenbriefen zufrieden sein müssen. So war's doch während des ganzen Krieges kaum einmal. Allerdings war für uns ja auch zum erstenmale Flandern u. für mich zum erstenmale Kranksein. Außer der Geschichte mit meinem Fuße. Aber gerade damals fand ich ja beste Gelegenheit zum Schreiben. Und die habe ich ja auch ausgenutzt.

Falsch ist's ja eigentlich, daß mir so etwas gerade in Ruhe immer passieren muß. Da hätte man viel besser Gelegenheit, sich zu erholen. Und das besonders hier am Meere. Mich zieht's immer wieder mächtig dahin. Gestern Nachmittag hat die Kompagnie wieder geschossen am Meere. Ich hatte gehofft, den Leuten mal einen schönen Sonnenuntergang zeigen zu können u. das Meeresleuchten. Das wurde nun zwar nichts. Es war reichlich bewölkt. Aber einerlei. Am Strande ist's immer schön. Der Sturm fegt durch die Dünen, u. als die Flut langsam stieg, rollten mächtige Wogen heran. Jede Kugel, die gegen die Wasserwände schlug, bildete kleine Fontainen. Und gar erst die Handgranaten u. die Minen der Priesterwerfer! Mächtge Wassersäulen stiegen hoch. Da wird den Leuten nichts zu viel. Ich habe mich allerdings nicht zu lange am Strande aufgehalten. Zum Reiten hatte ich keine Lust, u. die 3/4 Stunde Weg hatten mich mächtig angestrengt. Ich erlebe dasselbe wie vor 12 Jahren: Eine Schwäche, die man sich kaum erklären kann. Man glaubt ja einfach nicht, daß man in ein paar Tagen so herunterkommen kann. Aber der Doktor meinte gestern Abend noch, der Körper gebrauche alle vorhandene Energie zur Bekämpfung der Infektion u. der Bakterien. Und wie schwächt auch das furchtbare Schwitzen, das lange Liegen! Jedenfalls konnte ich mich gestern Nachmittag kaum noch auf den Beinen halten.

Ich bin in Knocke zum Kleinbahnhofe gegangen u. war in 10 Minuten zu Hause. D.h. ich bin vorher noch eben zu Bockermann gegangen, der gestern endlich das wohlverdiente E.K. 1 erhalten hat. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Aber mein Befinden wurde schlecht u. schlechter. Ich sollte mit ins Kasino kommen. Aber das war mir einfach unmöglich. So gern ich schon der lang entbehrten Musik wegen gegangen wäre. In meinem warmen Zimmer habe ich mich dann aber doch wieder erholt, u. als der Oberarzt gegen 1/2 9 Uhr noch kam, hatte ich 37,4° Fieber. Das war ja nicht wesentlich. Die Nacht hab' ich dann gut geschlafen, u. heute morgen hatte ich 36,6°. Etwas Kopfschmerz, Schwindelgefühl, allgemeine Schwäche sind selbstredend noch da. Ich muß mich natürlich äußerst schonen u. kann's bei meinen drei guten Offizieren ja gottlob auch. - Vorgestern war's zuviel. Der weite Marsch, der starke Regen u. nachm. noch ein Vortrag hier im Soldatenheim. Als ich zurückging, hatte ich die Anfänge meines alten Hustens. Auch gestern spürte ich noch etwas. Aber das viele Schwitzen und die große Vorsicht hat vielleicht nochmal vorgebeugt. Rachenkatarrh fürchte ich mehr als alles andere. Jedenfalls fühle ich soviel: Der Alte bin ich nicht mehr mit Gesundheit u. Widerstandskraft. Die 3 Jahre Krieg sind auch bei mir nicht in den hohlen Bauch gezogen, u. mein Lieschen wird, wenn ich den Frieden erlebe, viel zu pflegen u. zu wickeln haben. So wie ich aber fühle, daß meine Kräfte nicht mehr reichen, muß ich mich ernstlich krank melden. Ein Kompagnieführer, der so oft ausfällt, ist kein rechter Führer. Das fühle ich nur zu gut.

Hier im Orte, weit hinter der Front, ist ein wunderbares Soldatenheim. Mit sehr viel Kosten erbaut u. sehr nett eingerichtet. Verwaltet wird das Heim von 2 Hauptmannsfrauen, deren Männer hier auch irgendwo in der Etappe "tätig" sein sollen. So läßt sich der Krieg schon aushalten. Das wäre auch so ein Posten für Dich, Liesi! Im Sommer das Seebad. Dazu keine Arbeit, keine Sorge, keine Verantwortung, freie Kost u. Kleidung u. Gehalt womöglich noch obendrein: Ich glaube, Du wärst hier längst wieder gesund geworden, hättest Du nebenbei aber noch viel "für's Vaterland" getan u. trügest Medaillen u. Orden. In Wirklichkeit hast Du natürlich viel mehr geleistet als beide Hauptmannsfrauen zusammengenommen, u. Deine schönsten Ehrenzeichen sind meine beiden blonden Jungen.

Wenn solche Soldatenheime doch an den Kampffronten aufgemacht werden wollten! Aber da suchst Du vergeblich nach "Hilfsschwestern" vom Roten Kreuz.

Auch gestern ist keine Post von Dir gekommen. Dein letzter Brief war der vom 2.11., der vorgestern kam. Wann ist nun eigentlich Mutters Geburtstag? Bei der Landeszeitung gibts jetzt wieder Altenbernds Gedichte "Reben u. Ranken". Die wünschte sie sich früher schon mal, kann ich ihr dann aber vielleicht zu Weihnachten schenken.

Herzlichste Grüße u. Küsse u. Gott befohlen! In treuester Liebe stets u. ganz Euer

Vater.

21.03.2013 в 17:27


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