Feldpostbrief, 5. November 1917
In Westkappelle, den 5. November 1917,
am Montagmorgen um 3/4 12 Uhr.
Mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!
Ich will's versuchen, etwas ausführlicher zu schreiben. Etwas schwer fällt's natürlich noch. Gestern Abend habe ich deshalb auch nur einen Kartenbrief geschrieben. Der ist heute morgen fortgegangen. Und diesen Brief soll ein Urlauber mitnehmen. Der wird also schon früher als der gestrige in Deinen Besitz kommen. Da muß ich Dir also nochmal erzählen, wie jammerschlecht es mir ergangen ist in den Tagen vom Freitag bis heute. Wie ich am Donnerstagabend noch mit bestem Appetit im Kasino gegessen habe u. wie ich nachts schon mit üblen Kopfschmerzen aufwachte. Am andern morgen ließ ich Ltn. Weber meinen Dienst machen. Zu einer Rgts.-Besprechung nachmittags wollte ich dagegen nicht fehlen. Aber die Sache wurde immer toller. Ich konnte den Kopf kaum heben. Dazu furchtbarste Rückenschmerzen! Da ließ ich dann den Doktor holen. Der maß noch 39,6 ° Fieber! Dabei hatte ich schon morgens Aspirin-Tabletten geschluckt u. heißeste Milch getrunken. Der Schweiß floß darauf nur so! Jedenfalls war mittags die Temperatur gefallen. Meinem Gefühl nach waren morgens 41° da. Für Morgentemperatur ja allerhand. Nachmittags kam schon allerhand Besuch. Gut gemeint. Aber ich konnte kaum mit meinen Gedanken oft folgen.
Riekehoff-Böhmer war vom Urlaub gekommen, hatte Kuchen u. sonstige Dinge mitgebracht u. wollte mich zum Kaffee holen. Ich habe auf bessere Zeiten vertröstet. Und zu allem Pech kommt gegen Abend ganz unerwartet Befehl zum Abrücken. Am Freitagmorgen 4 Uhr. Toller konnt's ja kaum kommen. Der Oberarzt wollte mich ins Lazarett schicken. Das Auto sollte bestellt werden. Ich bat, wenigstens bis morgen zu warten. Der Doktor kam selbst Sonnabd. morgens nochmal. Ich hatte die ganze Nacht ununterbrochen geschwitzt, hatte einen Prießnitzschen Umschlag u. 2 Tabletten Pyramidon bekommen. Da waren's nur noch 37,2° Fieber, u. d. Doktor ließ einen Krankenträger zurück. Abends waren's zwar nochmals 37,8° Fieber. Aber ich fühlte, daß es besser wurde u. sollte für diesen Fall am Sonntagnachm. abgeholt werden. Da lag ich ja beinahe 3 Tage. Am Sonntagnachmittag konnte ich dann auch den Kopf wieder heben. Schon mittags war ich aufgestanden ohne wie vorher Schwindelanfälle zu bekommen. Es wurde aber noch 4 Uhr, ehe der Wagen kam. Draußen wurd's neblig u. frisch, u. vorher war schönster warmer Sonnenschein. Aber der brave Doktor hatte vorgesorgt. Er hatte mir einen wunderbaren Mantel eines englischen Fliegeroffiziers mitgebracht. Lamafell. Da habe ich von Kälte nicht eine Spur empfunden. Nur am Kopfe. Aber auch das scheint nicht geschadet zu haben. Heute fühle ich zwar etwas dumpfen Kopfschmerz noch. Aber im übrigen habe ich etwas Appetit u. wieder Lebenslust. Es wird schon wieder werden.
Du magst wieder fragen, Liesi, warum nicht Lazarett? Ich fürchte die Dinger. Ohne große Not gehe ich nicht. Bei Verwundungen ist's ne andere Sache. Und nachher muß man sich in all die unendlich vielen Dinge bei der Komp. wieder einarbeiten. So bleibt man auf dem Laufenden. Alles geht nach meinem Willen, u. ich kann mich trotzdem noch einige Tage schonen. Pflege u. Verpflegung ist aber hier ohne Frage besser als im Lazarett. Anders wärs ja in einer recht dreckigen Stellung wie neulich bei Plasschendaele.
Aber hier geht's uns ja nicht schlecht. Wir sind am Freitag 15 km weiter nördlich gekommen u. liegen nun 5 km von der Nordsee u. 5 km von der holländischen Grenze ab. Auf den Karten wirst Du es finden. Wir sind Küstenschutz, wenn die Engländer landen sollten, u. Grenzschutz, wenn sie durch Holland einzudringen suchen. Interessante Aufgaben. Das ist mal was anderes. Hoffentlich bleiben wir aber auch nun mal einige Zeit!
In Brügge findet gerade jetzt eine Trauerfeier für den Hptm. Maraun, meinen früheren alten braven lustigen Bataillonskommandeur statt. Der bekommt vor einigen Tagen Blinddarmentzündung u. stirbt auf dem Wege ins Lazarett an Herzschwäche. Arme Frau, arme zwei Jungen! Ich wäre so gern zur Feier gefahren. Aber das geht ja nun nicht.
In meinen Krankheitstagen hab' ich gar oft bei Euch geweilt. Wie schön wäre solch Kranksein daheim gewesen! Und wie hat mir mein Lieschen nun gefehlt. Was hätte ich um 1 Trunk Saft, um gekochtes Obst, um eingekochte Sachen gegeben! Alles andere widerte ja an. Vor 12 Jahren hatte ich dieselbe Geschichte in Lage. Genau die gleichen Erscheinungen. Da hat's liebe Mütterlein noch so treu gesorgt u. gepflegt. Etwas länger habe ich damals aber trotzdem liegen müssen. Die größte Freude ist mir Dein l. Brief vom Sonntag u. Montag, 28./29.10., gewesen. Den hab ich wenigstens 10 mal gelesen. Herzlichsten Dank! Auch Helmchen! Und Bubi! Der Brief kam als letzte Post am Freitag Abend. An die Buben hatte ich Donnerstagnachm. noch Karten zu schreiben angefangen. Die waren nachher spurlos verschwunden. Ebenso ein Brief von Gustav. Na, es gibt andre! Morgen mehr! Gott befohlen u. herzlichste Grüße u. Küsse in treuester Liebe ganz u. stets
Euer treuer Vater.
Westkappelle ist ein frdl., sauberes Städtchen. Mein Quartier ist hübsch warm u. gemütlich!
Dein P.