Feldpostbrief, 13. Mai 1917
Vezon bei Tournai, Rue de Mons, d. 13. Mai 1917,
am Sonntagabend um 1/2 11 Uhr.
Mein liebes, gutes Lieschen!
Es ist spät geworden. Und einen eigentlichen Sonntagsbrief hast Du nicht erhalten. Ich bin den ganzen Tag über in einer sonderbaren Stimmung gewesen. Das hat wohl Dein Brief gemacht u. Dein stiller Vorwurf. Und von der Front herüber klingt seit Tagen schon ein wahnsinniges Trommelfeuer, das nichts Gutes verheißt. Die 5. Arrasschlacht ist in vollem Gange. Wohl sagt der gestrige Bericht, daß alle Angriffe bisher blutig abgewiesen seien. Aber wie wird's weiter gehen?
Trotz des Sonntags habe ich Arbeit gehabt. Heute morgen schoß die Kompagnie in einem Steinbruch halbwegs Tournai. Ich ritt um 8 Uhr hin, u. Hellwege holte mich wieder ab. Langsam sind wir auf Fußpfaden durch die üppig grünenden Felder zurückgeritten. Aus dem Weiß der blühenden Obstbäume lugten die roten Ziegeldächer der sauberen Dörfchen heraus. Malerische Bilder! Man kam auf andere Gedanken. Da erfuhren wir auf dem Bataillonsgeschäftszimmer, daß Niedieck das E.K. 1 erhalten habe. Er, der's am wenigsten verdient! Da war alle Stimmung wieder hin. Keiner unserer braven Leute hat's erhalten.
Heute Nachmittag habe ich im Bette gelesen. Draußen war's furchtbar heiß. Erst um 1/2 6 bin ich zu Hellwege gegangen, u. mit ihm u. Bockermann zusammen habe ich einen Spaziergang zum Walde von Barry gemacht. Zum Reiten war's zu heiß. Wir sind dann gleich zum Kasino gegangen. Dort hielt mich's nicht, weil ich sicher einen Brief von Dir erwartete. Den fand ich nicht. Da war die gedrückte Stimmung wieder da. Hoffentlich kann ich schlafen! Ich bin furchtbar müde. Und morgen früh muß ich um 6 Uhr heraus. Da schreibe ich morgen zuende. Gott befohlen, Liesi! Ich grüße u. küsse Dich u. die Kinder u. bin u. bleibe
Dein tr. Paul.