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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1916, 4.12

25.12.1916
Haulchin, Frankreich, Frankreich
Dezember 1916. Kasino in Haulchin

Feldpostbrief, 25. Dezember 1916

Courcelles, am 1. Weihnachtstage, abends 1/2 6 Uhr.

Mein gutes, liebes Lieschen!

Weihnachten hätte ich zu Hause feiern wollen. Jetzt will ich's wenigstens in Gedanken tun. Ein Kasino haben wir noch nicht. Aber heute Abend gibts Bier. Ich bleibe aber viel lieber zu Hause. Ich sehne mich ja viel zu sehr nach meinem lieben Lieschen. Und nur mit Dir möchte ich plaudern. Hoffentlich stört mich niemand mehr! - Na, da steht auch ausgerechnet in diesem Augenblick schon eine Ordonnanz da u. bestellt mich für 6 Uhr zum Hauptmann. Besprechung mit den Kompagnieführern. Da kann ich mir meine Stiefel wieder anziehen u. komme sogar um meine Tasse Kaffee. Den ganzen Tag bin ich beschäftigt gewesen. Ob ich nun nachher meine Ruhe finde u. die Zeit für mein Lieschen u. für Weihnachtsgedanken? Hoffen wir's zunächst einmal!

1/2 9 Uhr. - Gerade komme ich zurück u. habe zu Abend gegessen. Käse (echten Schweizer) u. Leberwurst u. Keks u. Apfelsinen. Zum Kaffeetrinken hatte ich kaum Zeit heute nachmittag, u. gleich muß noch der Feldwebel kommen, damit der Dienst für morgen festgesetzt wird. So werden die Feiertage zum schlimmsten Arbeitstage. Nie bin ich den Krieg so zum Überdruß satt gewesen als jetzt. Von Urlaub ist immer noch keine Rede. Das verbittert schließlich noch am meisten. Und nimmt alle Lust und Liebe. Dabei habe ich noch allerlei Ärger in der Kompagnie, mit dem Feldwebel u.s.w.

Aber weg damit! Das soll mein liebes Lieschen alles nicht wissen. Und heute ist ja Weihnachten. Dazu fand ich eben so viele liebe Briefe u. Karten mit Weihnachtswünschen vor, daß ich mich freuen mußte. Auch Dein lieber Brief vom 20. war schon dabei. Und eine Karte von Pastor Sturhahn.

Heute morgen war ich todmüde. Besonders geschlafen hatte ich nicht. Es war oft schlimmes Trommelfeuer. Auch ein Flieger kam gestern abend spät noch und warf Bomben. Auch eine Christbescherung! Kaffee gabs nicht, da mein Bursche zu lange geschlafen hatte u. weil um 1/2 10 Uhr schon eine Besprechung beim Brigadekommandeur war. Ich habe an mein Mütterchen denken müssen und an den schönen Kaffee und den leckeren Kuchen an jedem Weihnachtsmorgen, wenn nebenan der Lichterbaum brannte. Wieviel Liebe durften wir Kinder doch gerade an diesem Morgen erfahren! Wir wollen's mit unsern Jungen sicher auch so halten. Gewiß schreibst Du mir recht ausführlich über Weihnachten, nicht wahr, Liesi? Zwar ist's 1/2 10 Uhr u. das elektrische Licht brennt nicht mehr u. mein Ofen will auch so recht nicht mehr. Aber etwas möchte ich doch noch plaudern.

Nach der Besprechung heute morgen ging ich zum Weihnachtsgottesdienst. Pastor Müller. Im Kino. Von der Predigt habe ich nicht sehr viel gehört. Aber ich sah doch einen Weihnachtsbaum brennen u. hörte Weihnachtslieder u. sang sie selbst. Die hellen Tränen wären mir beinahe über die Backen gelaufen als die Musik zu dem alten schönen "O du fröhliche" ansetzte.

An die schöne Weihnachtsfeier in Bourgogne durfte ich nicht denken. Neben mir saß Niedieck, der damals die 3. Komp. führte. Und auch vor einem Jahre war's noch so schön. Wer von all den lieben Kameraden ist nun noch da? Alles fremde Gesichter! Alles Leute mit anderen Erinnerungen! Und wie trostlos sind die Verhältnisse hier! Kein Raum, in dem eine Kompagnie hätte feiern können! Bäume und Geschenke sind noch nicht da. Weihnachtsstimmung kommt nicht auf. Und auf den Straßen ein so entsetzlicher Schmutz, daß man kaum durchkommt. Und vom Himmel strömender Regen. Das ist in Frankreich aber wohl immer so.

Übel war auch unser Reisetag. Am 23.12. morgens 9 Uhr sollte unser Zug von Trith-St. Leger fahren. Spät abends am 22. aber kam Befehl, daß der Zug 2 Stunden früher abgehe u. daß wir eine Station vor Bapaume ausgeladen würden. Keiner zweifelte daran, daß wir an der Somme eingesetzt würden, weil dort gewaltige Artilleriekämpfe zu hören waren. In netter Stimmung habe ich mich am 23.12. morgens um 5 Uhr von Troester verabschiedet, der in Haulchin zurückblieb, um von dort in Urlaub zu fahren. Er sollte Dir von allen Befürchtungen nichts erzählen u. hat's auch sicher nicht getan. Es regnete in Strömen u. nach 1/2 Stunde Marsch floß mir das Wasser über die Satteltaschen an den Beinen hinab. Mein Schimmel scheute in der Finsternis vor jeder Wasserpfütze u. jedem Pfahle. Sonst wäre ich trotz des Regens eingeschlafen. Auf dem Bahnhofe in Trith habe ich meine Knie etwas wieder getrocknet u. dann haben wir uns in einem Abteil II. Klasse dicht neben einander gepreßt u. eine Flasche Rum u. Steinhäger nach der ändern geleert bis wir etwas warm wurden u. einschliefen. Die Kälte des ungeheizten Wagens hatte uns natürlich rasch wieder wach. Um 12 Uhr waren wir in Frémicourt vor Bapaume. Befehle für uns waren nicht da, u. des furchtbaren Regens wegen brachten wir unsere Leute in der Kirche unter. Der Sturm hatte alle Telefonleitungen zerrissen, u. erst um 3 Uhr erfuhren wir, daß das Bataillon doch nach Courcelles solle. Das waren 18 km. Ein furchtbarer Weg für unsere Leute mit ihrem sämtlichen Gepäck. Sturm u. Regen noch ärger wie morgens. Ich bin oft vorausgeritten oder zurückgeblieben, um Schutz hinter Häusern oder Mauern zu suchen.

Wir kamen über Mory, wo wir im September einige Zeit in Zelten gelegen hatten. Ich kannte den Ort nicht wieder. Eine zweigeleisige Bahn mit neuem Bahnhof war gebaut. Die Wege sind nämlich einfach nicht mehr zu benutzen. Die Straßen haben metertiefe Löcher, die mit Schlamm u. Wasser gefüllt sind. Das ganze Bataillon suchte auf einer großen, breiten Chaussee im Gänsemarsch Stellen, die zu passieren waren. 2 km über eine Stunde! Mein Schimmel hatte ein Eisen verloren u. lahmte. Ich mußte zu Fuß gehen u. hatte meine schönen gelben Stiefel mit Gamaschen an. Bis über die Knie ging's durch den Schlamm, u. dann fiel ich längelang noch in den Graben. Mein schöner Mantel u. meine neue Mütze sind heute noch nicht wieder in Ordnung. Den Tag werde ich nie vergessen. Eigentlich war's der tollste im Kriege. Schlimmere Wege gabs in La Bassée bei Hochwasser nicht. Die halbe Kompagnie hatte ich unterwegs verloren. Erst nach u. nach fanden sich die Leute wieder ein. Und dann abends 1/2 10 in ein fremdes, ungemütliches Quartier. Essen hatte es den ganzen Tag nicht gegeben. Immerhin war's aber besser als wenn man uns von Frémicourt in die Granatlöcher an der Somme geschickt hätte. Und nicht mal schlimmer erkältet bin ich nun. Gerade das befürchtete ich am meisten. Und keiner unserer Leute hat sich krank gemeldet. Sogar der Schimmel macht's schon wieder. Nur daran, daß ich sogut wie mein Troester all diesem Umzugskram hätte aus dem Wege gehen können, darf ich nicht denken. Sonst kommt die Bitternis. Gerade bei so etwas ist ein Kompagnieführer leicht zu entbehren. Aber all das Schimpfen hat ja keinen Zweck.

Ich muß schließen. Es wird kalt, u. morgen früh um 7 Uhr muß ich aufstehen. Gott befohlen, mein Lieb! Er schütze uns alle!

Ich bin u. bleibe mit herzlichstem Gruß u. vielen Küssen für Dich und unsere Jungen in treuester Liebe

Dein dankbarer Paul.

18.03.2013 в 10:23


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