Autoren

1434
 

Aufzeichnungen

195358
Registrierung Passwort vergessen?
Memuarist » Members » Gertrud Mohr » Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1916, 4.8

Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1916, 4.8

16.11.1916
Thiant, Frankreich, Frankreich

Feldpostbrief, 21. November 1916

Thiant bei Valenciennes, Nordfrankreich, 
Dienstag, den 21.11.1916, nachm. 1/2 5 Uhr.

Mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!

Da wir morgen früh noch einmal umziehen, will ich lieber heute schnell etwas ausführlicher schreiben, da ich morgen wohl doch kaum Zeit finde. Und Du mußt doch endlich mal Näheres erfahren. In den vorhergehenden Tagen bin ich zum Schreiben einfach nicht imstande gewesen. Meine Nerven versagten vollkommen, und noch immer finde ich nachts kaum Schlaf. Die Gedanken jagen einander, u. Träume scheuchen mich aus jedem Halbschlummer wieder auf. Oft denke ich, Lust zum Leben werde mir nie wiederkommen. Ich möchte dann lieber tot sein oder in Gefangenschaft. Dann wäre ich bei meinen braven Leuten, die am blutigen 13. ihr Leben gelassen haben oder die am 14. in Gefangenschaft geraten sind. Und nur ein Gedanke hält mich aufrecht: der, daß ich meinem Vaterlande hier nach nützen kann durch treue Arbeit an den neuen Leuten, die nächstens meine Kompagnie bilden werden. Sie wieder dahin zu bringen, wo vorher die Kompagnie gestanden hat, das ist ein hohes, schönes Ziel. Da will und darf ich vorerst an Urlaub noch nicht denken. Und die Arbeit, die unendlich viele, wird hoffentlich ein Segen werden, wenn Gott mit mir ist!

Wie hatten wir alle uns auf die so wohlverdiente Ruhe gefreut, wie schön sollte Weihnachten für unsere braven Leute werden! Und nun ist alles so ganz anders gekommen! Daran darf ich nicht mehr denken. Noch immer steht mir das Bild der Toten vor Augen. Natürlich waren's die besten. Noch immer höre ich die Schwerverwundeten wimmern und stöhnen, noch sehe ich brennende englische Leichen vorm Graben liegen - nie im Leben wieder werde ich die Bilder los.

Wie wars' denn eigentlich? Ich habe mich lange besinnen müssen, ehe einige Klarheit wieder ins Bewußtsein kam. Am Sonntag, den 12.11. habe ich Dir abds. noch geschrieben u. auch an Bubi u. Helmut und Lieschen. Die Post haben sicher die Engländer in die Hände bekommen. Kurz vor dem Schreiben war ich noch durch den Graben. Eine dicht vor mir platzende schwere Granate riß große Steine los u. schleuderte einen von Backsteingröße gegen meinen Stahlhelm. Der allein hat mir das Leben gerettet. In meinem Briefe an Dich habe ich meinem Gott heiß gedankt. In der Nacht übertraf das Artilleriefeuer alles bisher dagewesene. Gasgranaten hatten die Luft vergiftet. Hinter dem Bismarckstollen waren viele krank zusammengebrochen. Vorn spürten wir das Gas weniger. Verloren hatte ich gottlob in der Nacht nur einen Toten und einen Verwundeten. Da kam der Unglückstag, der Montag! 13. November! Um 3/4 8 bebte die Erde von einer Sprengung. Ein Riesentrommelfeuer setzte ein, u. um 8 Uhr standen die Engländer am Graben. Es war so dichter Nebel, daß Freund und Feind nicht zu erkennen waren. Unsere roten Leuchtkugeln sind nicht gesehen worden, u. so konnte unsere Artillerie nicht helfen. Kein Schuß fiel. Die Engländer hatten leichtes Spiel. Rechts u. links von uns waren sie durch, u. bald standen sie uns im Rücken. Aber auch von dort konnten sie uns nicht überrennen, u. so waren wir von allen 4 Seiten eingeschlossen. Nun warteten wir sehnsüchtig auf Hilfe von hinten. Wir haben uns die Augen ausgeschaut. Sie kam nicht. Statt dessen kamen immer noch mehr Engländer. Aber noch waren Lücken hinter uns, u. durch eine solche bin ich abends mit 4 meiner bravsten Leute durchgeschlichen, um Hilfe heranzuführen. Es war keine da. Und niemand wußte, wie es um uns da vorn stand. Kein Wunder: Unser Oberstleutnant ist vermißt, der Regimentsadjutant tot. Keine Leitung mehr! Da waren natürlich auch keine Reserven mehr. Und das Schicksal ging unerbittlich seinen Gang weiter. Ich habe noch viel versucht. Doch davon morgen, wenn's möglich ist! - Gott befohlen, mein heißgeliebtes Lieschen! Er schirme u. schütze uns u. unsere Jungen! Herze und küsse sie! Sei aber vor allem Du treu gegrüßt u. heiß geküßt von

Deinem Dir stets dankbaren Paul.

- Post von Dir werde ich wohl erst lange Zeit nicht bekommen. Alte Briefe schicke ich wieder mit!

17.03.2013 в 08:01


Присоединяйтесь к нам в соцсетях
anticopiright
. - , . , . , , .
© 2011-2024, Memuarist.com
Rechtliche Information
Bedingungen für die Verbreitung von Reklame