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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1916, 2.6

02.04.1916
La Bassée, Frankreich, Frankreich

Feldpostbrief, 2. April 1916

Cysoing, den 2. April 1916, Am Sonntagnachmittag 3 Uhr

Mein liebes, gutes Lieschen!

Einen schönern Sonntag habe ich im Kriege noch nicht erlebt. Der Himmel fleckenlos blau. Freundlich lacht die wärmende Sonne nieder, als wolle sie alle schlummernden Kräfte und Triebe der Natur auf einmal wecken zu neuem Leben. Vor meinem Fenster liegt der große Weideplatz eines ansehnlichen Bauerngehöfts - ich wohne am Ausgange nach Couson - und als Wächter am Saume der grünen Weiden steht ein prachtvoller Kastanienbaum. Dessen Blätterknospen schimmerten vor Tagen im hellen Sonnenschein noch wie weiße Lichtchen. Heute zeigen sie schon saftiges, sattes Grün. Und gestern Abend im letzten verglimmenden Sonnenstrahl zwitscherten hoch oben im höchsten Wipfel plaudernde Stare der scheidenden Sonne letzte Grüße nach. Der Frühling hat gesiegt. Nun kann kein Winter Macht mehr gewinnen. Ich habe den schönen Morgen in vollen Zügen genossen. Um 1/2 10 war in der Kirche Gottesdienst durch Pastor Müller. Dann bin ich gleich spazieren gegangen. Mit einem Fahnenjunker von den 16ern, der den Schützengraben noch nicht hat aushalten können und den man hier zum Feld-Ersatz-Bataillon geschickt hat. Der arme Kerl sieht auch wirklich elend aus, wird aber sicher mal ein guter Offizier, wenn er wieder völlig gesund wird.

Und hier kann man genesen. Hinter den beiden Schlössern, in deren einem wir unser Kasino haben, liegt ein Park, wie ihn ein Badeort oder ein Sanatorium nicht größer und schöner haben kann. Am Schlosse zuerst sehr schöne Blumenanlagen, die durch Gärtner gut in Ordnung gehalten werden. Dann schließen sich breite Wege an, die zu beiden Seiten breite saubere Wassergräben haben, die von alten Bäumen beschattet werden. Zwei selten schöne Schwäne beleben das sonst so friedliche Bild. In einem Gondelhause liegen Kähne und Boote und laden zum Rudern ein. Das muß an lauen Sommerabenden wunderbar sein. In eigenartiger Laune hat einer der Besitzer all dieser Herrlichkeit nicht weit vom Schlosse eine Steingrotte bauen lassen, in die ein langer finsterer Gang hineinführt. Die Grotte empfängt ihr einziges Licht durch Fenster aus rotem Glas. Wenn man sich an das Licht gewöhnt hat, entdeckt das erschreckte Auge an der Hinterwand hängend zwei menschliche Skelette. Ein männliches und ein weibliches. Was soll das wohl? Befreit atmet man auf, wenn draußen wieder Sonnenlicht und Frühlingszauber uns umfluten.

Die Besitzer all der schönen Landsitze, wie man sie hier in fast jedem Dorfe findet, sind meist reiche Industrielle aus den großen französischen Fabrikstädten Lille, Tourcoing und Roubaix. Im Winter wohnen sie wohl alle im schönen Lille, wo sie sich auch jetzt aufhalten, soweit sie nicht nach Paris geflüchtet sind, oder als Offiziere im französischen Heere stehen. Meist sind aber überall Schloßverwalter und Köchinnen zurückgeblieben, und wer nun als Ortskommandant Bewohner eines solchen Schlosses wird, dem stehen alle Räume und alle Einrichtungen zur Verfügung. Kein Zimmer ist verschlossen. Dafür wird aber auch geschont soviel es möglich ist. Das Eigentum bleibt jedenfalls voll und ganz erhalten. Ob's wohl Franzosen und Russen bei uns auch so machten?

Das Feldersatzbataillon hat auch ein Theater eingerichtet. Gestern abend war ich drin. Komiker, Zauberkünstler, alles Mögliche! Eingerichtet ist alles vom Adjutanten beim Ersatzbtl., dem Ltn. Junkermann, der selbst Schauspieler und ein Sohn des berühmten Reuter-Darstellers Junkermann ist, der auch oft in Detmold war. Der schon 50jährige Sohn gleicht dem Vater aufs Haar. Du siehst, m.l.L., hier lebt man wie in der Sommerfrische. Hier hält man den Krieg schon aus. Und warum Sorgen machen über kommende Tage? Wer weiß, was man mit uns vorhat? Bis zum 14. April dürfen auffallenderweise Leute beurlaubt werden. Da ist ja auch wohl die Postsperre wieder aufgehoben. - Gott befohlen, mein Lieb!

Treue Grüße u. heiße Küsse!

Euer treuer Vater.

13.03.2013 в 03:52


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