Memuarist » Members » Rüdiger Kowalski » Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Hauptmann Curt Kowalski Teil 3
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[...] Langsam verrannen die Stunden und mit ihnen schwand langsam jede Hoffnung auf ein glückliches Ende. Endlich rang man sich zu dem Entschluß durch, noch einen Parlamentär zu schicken, begleitet von einigen gefangenen Franzosen, 6 - 8 hatten wir gefangen genommen. Gegen Morgen am 26. 9. 1915 kam dann der Befehl, die Offiziere sollten zu Vieren durch den Hessengraben zu den französischen Vorposten kommen. Ich nahm noch zwei meiner Leute, die sich zu mir gefunden hatten, mit von denen der eine meine wenigen Habseligkeiten, bestehend aus meinem Kammzeug, einem geschenkten Hemd und Unterhosen, trug. Dieser Augenblick war furchtbar. Ich war völlig niedergeschmettert. Hätte ich das Ende geahnt, ich hätte meinen Mantel angezogen und hätte stehend auf der Brustwehr geschossen. Ich weiß noch, gekniet habe ich auf der Brustwehr, als ich den ersten Angriff der Franzosen von rückwärts mit den wenigen Mannschaften abschlug. Aber die Franzosen schossen zu hoch und nur wenige Geschossen schlugen neben einem ein oder pfiffen scharf vorüber. Aber das Schlimmste sollte noch kommen.[...] Wir kamen zur französischen Stellung. Die Drahthindernisse völlig intakt, stark, aus spanischen Reitern und Drahtrollen, ähnlich den unseren, bestehend. Dann mußten wir in den Graben selbst. Völlig intakt. Nirgendwo die Spur einer deutschen Granate, so sehr ich auch ausschaute. Ich schämte mich fast. [...] Überall, wo wir an Stellungen vorbei kamen, machte ich die selbe Beobachtung. Tadellos ausgebaut und in tadellosen Zustand. Wir kamen dann zu einem Gehöft, es mochte in der Gegend des "weißen Hauses" sein, ein Pionierpark. Auch hier war es mir vergönnt, einen kurzen Blick im Vorübergehen hineinzuwerfen. Mit bitterem Gefühl sah ich hunderte, wenn nicht tausende von schweren Minen und dachte an die eine schwere Mine, die uns täglich zur Verfügung stand. Hier wurden wir zum ersten Male durchsucht und zum letzten Mal anständig und würdig behandelt. Je weiter wir zur Etappe kamen, desto unwürdiger und schmachvoller wurde die Behandlung. Wie geputzte Affen standen die Offiziere da, kein Fleckchen an ihren tadellosen Uniformen und höhnten uns mit Blicken und Worten. Das war die Grande Nation, die sich soviel auf ihre Ritterlichkeit einbildete.[...] Man untersuchte uns. Und wenn die Offiziere auch höflich waren, man nahm uns alles fort, die Messer, selbst die kleinsten Federmesser, Taschenlampen, Streichhölzer, Bestecke. Und das alles langsam und umständlich, alles ohne jede Disposition. Fast eine Stunde muß es gedauert haben, bis dieses einfache Geschäft beendet war. Dann mußten wir wieder an die Spitze von ungefähr 200 gefangenen Mannschaften treten. Aber wenn wir glaubten, daß nun der Marsch beginnen würde, so irrten wir uns. Ehe die begleiteten Mannschaften belehrt, angetreten und geladen hatten, verging noch eine geraume Zeit. Die Müdigkeit und der Hunger begannen sich bemerkbar zu machen. Aber es sollte noch viel schlimmer kommen. Das war erst der Anfang unserer vieltägigen Leiden. Endlich ging der Marsch los, es mochte gegen 6 Uhr sein. Der Weg war schlecht, teilweise ging es über freies Feld. Wohin auch der Marsch ging, überall standen in dichten Scharen Franzosen, die uns in jeder Weise verhöhnten und beleidigten. A Paris! Boches waren noch die gelindesten Ausdrücke. Ein Kerl versuchte mir meine am Knopfloch hängende elektrische Lampe zu entreißen, ich griff zu und war so glücklich, sie noch zu erwischen, ein wütender Blick, ich war auf alles gefaßt. [...] Weiter ging der Marsch. [...]. Von nah und fern rannten die Leute heran, um den Gefangenentransport zu besichtigen. Die selben Belästigungen und eine neue dazu: Das Fotografieren, Offiziere und Mannschaften mit der gleichen Ungeniertheit. Wo man sich auch hindrehte, überall fotografische Apparate. Dann überschritten wir eine rückwärtige Stellung, an der noch gearbeitet wurde und kamen zu einem größeren Gehöft, in welchem wir bereits größere Gefangenenabteilungen vorfanden. Bis hierher hatten Mannschaften unsere wenigen Habseligkeiten tragen dürfen. Jetzt wurden wir gesondert. Wir kamen in einen kleinen Hof. Ich glaubte, man würde uns jetzt etwas Kaffee und Brot anbieten, uns setzen lassen. Wir wurden gründlich getäuscht. Ich mußte Namen, Formation usw. angeben, die in ein Buch eingetragen wurden. Bei der Nennung meines Namens fragte der Offizier sofort, ob ich Pole wäre. Spöttisches Lächeln von meiner Seite. Man versuchte mich auszufragen. Stille! Dann wurde ich entlassen. Da es den Anschein hatte, das wir von unseren Burschen getrennt wurden, baten wir, unsere Habseligkeiten holen zu dürfen. Jedem wurde ein Mann mit geladenem Gewehr mitgegeben. Zu Hunderten standen Franzosen um uns herum. Es war eine lächerliche Wichtigtuerei. [...] Von neuem begann das Durchsuchen aller unserer Kleider und Sachen. Was uns noch nicht abgenommen wurde, verschwand hier. Briefe, Bilder, Signalpfeifen, Ferngläser, alles wurde uns vom Leibe und aus den Taschen gerissen. Die Uhren mußten die Herren vorzeigen; eine Schweizer Uhr wurde als gestohlen bezeichnet und erst durch längeres Zureden ließen sich die Offiziere überzeugen, daß man eine Schweizer Uhr auch im Frieden kaufen könne. Ich entging dem Nachsehen nach meiner Uhr. Das viele Gold daran hätte vielleicht doch seinen Liebhaber gefunden, und ich war schon ein paarmal unangenehm aufgefallen. [...] Stundenlang dauerte die Durchsuchung. Den Ärzten wurden die Bestecke abgenommen, die Verbandspäckchen uns. Meine habe ich durchgemogelt, man konnte nicht wissen. Zu Essen gab es nichts, zum Sitzen wurde uns nichts angeboten. Endlich legten wir uns auf die nasse Erde. Um uns herum standen die französischen Soldaten, die uns besahen und fotografierten wie die wilden Tiere. Die höhnischen Bemerkungen beachteten wir nicht mehr. Kein französischer Offizier machte diesen Belustigungen ein Ende, sie freuten sich darüber. Ein neuer Transport wurde eingeteilt. Wieder verging eine lange Zeit. Wir wurden zur Schau gestellt, das begannen wir zu fühlen und es bewahrheitete sich später auch. Endlich marschierten wir ab. Seit wir das Mittellager verlassen hatten, mochten 6 - 8 Stunden vergangen sein, seit ich gegessen hatte, 20 Stunden, seit 4 Tagen hatte ich kaum geschlafen. Auf die Frage, wann wir etwas zu Essen bekämen, höhnisches Achselzucken; die Entfernung zu unserer nächsten Station wurde mit 12 km angegeben. Es muß aber weiter gewesen sein. Der Marsch ging auf ein großes Dorf zu. Der Kirchturm war durch Strauchwerk getarnt. [...] Wir aber marschierten [...] einem unbekannten Ziel entgegen, jetzt nicht nur von den Soldaten der Etappe, sondern auch von den Einwohnern beschimpft und belästigt. Mützen wurden vom Kopf gerissen, Achselstücke von den Röcken, Knöpfe von den Schoßleisten. Wo ein Lager war, wurden wir hindurch geführt, zur Schau gestellt. Es war furchtbar. Nach einigen Stunden wurde eine Rast von 30 Minuten eingelegt. Hauptmann K. bekam einen Herzkrampf, Soldaten und Einwohner standen herum und freuten sich, wie der Mann zusammen brach. Einem Infanteristen, einem hübschen jungen Burschen mit schweren Armschuß, waren die Verbände aufgegangen. Der führende Offizier ließ Stabsarzt Dr. R. eine Minute Zeit zum Verbinden. Dann marschierten wir weiter. Fuhrwerke und Kraftwagen standen auf der Straße. Hauptmann K. mußte marschieren. Es war schmachvoll. Gegen 16 Uhr kamen wir an unserem Bestimmungsort an. Wir waren totmüde und erschöpft von dem stundenlangen Marsch, vom Hunger und der Aufregung. Ich warf mich auf die Erde und sah mich nach einiger Zeit in der Gegend um. Auf einer Wiese vor einem Walde, in dem sich ein Lager befand, war ein kleiner Platz durch doppeltes Stacheldrahtgitter abgetrennt; darin befanden sich schon eine Anzahl Offiziere. Etwas weiter entfernt war eine ähnliche Anlage zu sehen, in der die gefangenen Mannschaften untergebracht waren und wurden. Wir baten um Wasser, was wir nach einiger Zeit auch erhielten. Hier, wie überall, machte ich die selbe Beobachtung. Die Offiziere, es waren ihrer recht viele, waren alle tadellos angezogen, trugen alle den Kriegsorden und sahen alle aus, als ob sie nie eine Kugel hätten pfeifen hören. So benahmen sie sich auch. Sie staunten uns an, als ob wir wilde Tiere wären, machten ungeniert die höhnischsten Bemerkungen, fotografierten uns in allen Stellungen, von allen Seiten. Wir drehten ihnen zwar immer den Rücken zu, aber es waren ihrer zu viele. Zum Teil kann man es ihnen gar nicht verdenken, denn wieviel französische Offiziere mögen im Kriege überhaupt deutsche Offiziere gesehen haben und noch dazu Gefangene. Ich glaube, es sind sehr wenige. Darum mußte ja so viel wie möglich fotografiert, verhöhnt, beschimpft werden. Denn wer konnte wissen, ob eine so günstige Gelegenheit, wehrlosen deutschen Offizieren gegenüber zu stehen, jemals wiederkommen würde. [...] Endlich wurden wir in die Koppel gelassen. Doppelter Stacheldrahtzaun, alle zwei Schritt ein Posten. Wir glaubten, daß diese Unterbringung nur vorübergehend sein würde. Auch hier irrten wir uns. Wir baten um Essen, seit über 30 Stunden hatte ich nur Wasser zu mir genommen. [...] Gegen 20 Uhr erhielten wir endlich etwas zu essen. Ein Stück Speck - elendes, ranziges Zeug - und ein Stück trockenes Brot. Den Speck benutzte ich zum Stiefelschmieren. Der Himmel bezog sich, es fing an zu regnen. Und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte und mehr, nie werde ich diese Nacht vergessen. Es wurde kalt. Kein Dach, kein Stroh, keine Decke, kaum etwas gegessen, zum Umfallen müde. Wir warfen uns auf die Erde, rückten dicht zusammen, um warm zu werden und versuchten zu schlafen.. Ein wenig muß es mir auch gelungen sein. Ich war steif geworden, es war dunkle Nacht, kalt war es und es regnete. Der Boden war völlig durchnäßt. Da überfiel mich plötzlich ein furchtbarer Magenkrampf, ich wand mich wie ein Regenwurm, eilte zur Latrine und das stundenlang die ganze Nacht. Ich konnte nicht liegen, nicht sitzen, nicht stehen. Ich wand und krümmte mich, es war entsetzlich. Nichts wünschte ich mir sehnlicher als den Tod. Der Morgen kam, es gab Brot und etwas Kaffee, kaum einen Trinkbecher voll. [...] Gegen 12 Uhr kam dann der Befehl, daß die Lager schleunigst zu räumen wären. Wieder dauerte es eine lange Zeit, bis die Transporte zusammengestellt waren. Kurz nach 12 Uhr wurde angetreten. Ich war totmüde, körperlich und seelisch völlig gebrochen. Mein Gepäck trug ein Arzt. [...] Um 19 Uhr wurden wir verladen, wir mußten uns beeilen, da der Zug bald abgehen sollte. Er brauchte dann allerdings noch 2 Stunden, bis er sich in Bewegung setzte. Natürlich wurden wir eingeschlossen. Das war für mich nun nicht gerade angenehm. Meine Verwundungen machten mir kaum Schwierigkeiten. Aber nach dem Liegen auf der nassen Wiese, dem Wasser trinken, hatte sich die Wirkung der Luftdruckverwundung verschlimmert, und ich bekam wieder heftige Magenkrämpfe. Die Türen geschlossen, der Wagen voller Kameraden. Was sollte ich machen, ich konnte mich doch nicht auf den Boden entleeren. Ich stand auf, trat an das mit Sackleinwand vernagelte Fenster und bat den draußen stehenden Posten, austreten zu dürfen, die Erlaubnis wurde verweigert. Ein Arzt bat für mich und machte darauf aufmerksam, daß ich krank sei. Dasselbe Ergebnis. Wenigstens ging der Posten fort, und es war etwas dunkel geworden. Also letzte Rettung - selbst dieses wäre allen schon gleichgültig gewesen - zum Fenster hinaus. Es ging auch nicht mehr, die größte Energie half nicht mehr. Also Hosen runter, zwei Ärzte hoben mich in die Höhe und - Gott sei Dank. Der Bahnhofskommandant wurde gebeten, für die Verwundeten und Kranken einen Wagen 3. Klasse einzustellen. Doch dieses Mal schien man ein Einsehen zu haben. Gegen 21 Uhr wurden wir aus dem Viehwagen herausgeholt und in einen Wagen 3. Klasse gebracht. Zu Sechsen stiegen wir in ein Abteil, dazwischen saßen der den Transport führend Offizier und 6 Mannschaften mit geladenen Gewehren. Wunderbar, daß sie im Zuge nicht noch das Bajonett aufpflanzten. Nach 21 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, einem unbekannten Ziel entgegen. Die Fahrt ging über Avignon - Troyes - Dijon nach Lyon, wo wir am Morgen des 29.9. eintrafen. [...] Niemand konnte uns sagen, wo wir ausgeladen würden, man meinte, wir kämen nach Marokko. Von Lyon ging die Reise weiter über Arles nach Marseille. Gegen 21 Uhr kamen wir am Hafen an. Wir glaubten, schon sofort verladen und im Schutze der Dunkelheit abtransportiert zu werden. Wirklich überrascht waren wir, als wir aufgefordert wurden, die bereitstehenden Wagen zu besteigen. Waren es nur grün angestrichene Gefängniswagen, so waren wir doch froh, nicht marschieren zu müssen. Daß ich noch einmal in einem Gefängniswagen fahren würde und tagelang in einem Gefängnis sitzen mußte, habe ich mir allerdings nicht träumen lassen. Dennoch waren wir wie gesagt sehr froh, gefahren zu werden. Durch die Straßen, die ich 1910 anläßlich meiner Reise auf der "Prinzessin" mit Familie Elvers gegangen war, fuhr ich nun im Gefängniswagen zum Fort St. Nicolas. Ich dachte wieder an Schlafen auf Steinfliesen ohne Decken usw. Aber auch dieses Mal täuschte ich mich. In einem großen Saal standen Betten, wirkliche Betten, in die wir uns legen durften. Wir fragten nichts mehr. Nach Erledigung einiger Formalitäten warfen wir uns auf die Strohsäcke und schliefen, schliefen zum ersten Mal seit dem Beginn des Transportes. [ |