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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1917, 1.8

30.05.1917
Vezon, Tournai, Belgique

Feldpostbrief, 30. Mai 1917


Im Schützengraben bei Fontaine, den 30. Mai 1917, 
am Mittwochabend um 1/2 8 Uhr.

Mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!

Bei trüben, flackerndem Kerzenlicht will ichs versuchen, zu schreiben. Wann u. ob der Brief fortkommt, weiß ich noch nicht. Auch der Kartenbrief von gestern liegt noch hier. Mit dem Verkehr nach hinten ist's nämlich so eine Sache. Gestern kam unsere Feldküche heraus. Die Essensholer von zwei Zügen haben sie gefunden. Die von einem andern Zuge nicht. Die 13 Mann sind überhaupt noch nicht zurück. Jetzt, nach beinahe 24 Stunden. Das macht natürlich Sorge. So hat der ganze Zug nun kein warmes Essen bekommen. Ich auch nicht. Und alle 2 Tage soll der furchtbaren Schießerei wegen die Küche nur kommen. Das mache ich im Kriege auch zum erstenmale mit. Warmes Essen hat's sonst noch jeden Tag gegeben. Aber hier verzichten die Leute lieber, als daß sie 1 1/2 Std. weit durch schweres Artilleriefeuer laufen.

Annäherungsgräben haben wir nicht. Die ganze Siegfriedstellung war ja nur halb fertig als wir kamen u. als die Engländer sie bereits so unter Feuer hielten, daß an Fortführung der Arbeiten nicht mehr zu denken war. Eine Schande ist's, wenn man sieht, wie die Feldbahnen u. die Feldbahnwagen zerstört im Gelände herumliegen, wie Hunderte von gefüllten Cementsäcken verdorben sind u. all die halbfertigen Eisenbetonbauten uns nun nicht den geringsten Schutz bieten. Millionen von Mark sind nutz- u. zwecklos vergeudet. Und hunderte von Menschenleben hätten gerettet sein können, u. kein Stück des "Siegfried" wäre vielleicht in Feindes Hand gefallen, wenn alles fertig war. Dafür haben die gefangenen Russen hier lange ein gutes, faules Leben geführt. Ich möchte die Verantwortung für alles das nicht tragen.

Daß ich hier schlecht hause, schrieb ich gestern schon. Wenn man nicht stets den Mantel anhat, hält man's nicht aus. Heute Nachmittag habe ich eine Zeitlang oben in der Sonne gelegen. Bis es zu regnen anfing.

Wir hatten ein Gewitter. Da freut man sich natürlich, wenn man einen Unterstand hat. Die armen Leute vorn in den Granatlöchern tun mir leid. Dann sind 6 Tage doch reichlich lang. Gestern Abend habe ich mir den Betrieb da vorn mal angesehen. Da liegt der Engländer 15 m ab. Laut sprechen darf man kaum. Und das Sonderbarste ist: Der Stollen gehört auf einer Länge von 50 m uns. Aber oben im Graben sitzen die Engländer. Drei Stolleneingänge sind vernagelt. Das Stollenstück ist deshalb so wertvoll, weil am äußersten Ende ein Brunnen für Trinkwasser ist. Natürlich kann man das nicht preisgeben. Aber ein eigenartig Gefühl ist's doch: Oben England, unten wir! Diesen schwierigsten Teil der Stellung hat Bockermann mit seiner 12. Kompagnie. Den besuchte ich gestern Abend. Überall lagen noch Leichen vom Pfingstsonntag. Die rochen bei der Hitze schon stark. Ob's das gewesen war oder meine Erkältung, weiß ich nicht. Jedenfalls fühlte ich mich bei Bockermann schon sehr schwach. Auf dem Rückwege mußte ich mich dann erst mal in ein Granatloch legen u. nachher übergeben. Dann wurd's etwas besser. Aber ich bin auch heute noch sehr schwach u. immer müde. Ich könnte ständig schlafen u. muß immer mit dem Schlafe kämpfen. Glücklicherweise ist aber mein Appetit noch ziemlich gut. Es wird auch bald wieder werden. Manchmal scheint's doch, als wenn es im Graben mit mir nicht so recht mehr will. Es sind ja nun auch 2 Jahre u. 8 Monate ununterbrochenen Kriegslebens im Graben.

Heute morgen kam durch die Essenholer Dein l. Brief vom 24. Mai mit. Deine Post kommt also ziemlich schnell über. Aber auffallend lange sind doch meine Belgienbriefe unterwegs gewesen. 10 Tage? Wie mag das nur kommen? Ob Du all meine Briefe bekommen hast, wirst Du noch nicht haben feststellen können. Ich schrieb aber täglich.

Wegen der Ziege mach Dir keine Gedanken! Die hat sicher Pflicht u. Schuldigkeit getan u. sich brav bezahlt gemacht. Das alles sind ja auch große Kleinigkeiten.

Wie steht sonst die Saat dort, Liesi! Hat das Obst geblüht, gibt's Kirschen, Beeren, Zwetschen? Ich meine, all das müsse beinahe ausschlaggebend für unser Durchhalten sein. Und darauf kommt's letzten Endes doch an!

Den beiden lieben Bubenjungen herzlichste Grüße u. viele dicke Süße! Den süßesten Kuß aber für Dich, Liesi! Gott befohlen!

Dein treuer Paul.

20.03.2013 в 04:33


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