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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1916, 4.10

26.11.1916
Haulchin, Frankreich, Frankreich

Feldpostbrief, 26. November 1916

Haulchin, den 26. November 1916 
Sonntagnachmittag um 3 Uhr.

Mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!

Totensonntag! Gestern vor einem Jahre, dem Tage nach, war ich zum letztenmale in Illies, bei unsers lieben Theodor Grabe. Ich habe Linas Blumenzwiebeln gepflanzt. Was aus den Blumen geworden ist - ich hab's nicht mehr gesehen. Ob sie geblüht haben im Sommer, ob der Friedhof weiter gepflegt worden ist, nachdem die 55er fort waren? Was hat das Regiment inzwischen wieder alles erlebt! Wieviel neue Friedhöfe hat's anlegen müssen bei Verdun und an der Somme! Und wie mag der schöne Friedhof in Illies jetzt aussehen! Haben die englischen Granaten ihn verschont? Erreichen konnten sie ihn ja längst nur zu gut.

Uns geht's ja nicht anders. In Salomé und Hantay, wo unsere großen Friedhöfe sind, liegen seit langem sächsische Truppen. Wie mag's dort jetzt sein. Und in Bourgogne erst gar, wo allem Anschein nach schon im Frühjahr 1915 unsere Linien zurückgedrängt worden sind! Und all die vielen Toten, die hier in der Gegend seit dem Mai gefallen sind! Sie ruhten auf dem schönen stillen Friedhof in Bucquoy. Und heute kam unser neuer Adjutant vom Rgt. 15. Der erzählte, daß Bucquoy ganz von unsern Truppen geräumt werde, da es ständig unter engl. Artilleriefeuer liege. Da wird natürlich bald kein Haus mehr ganz sein, und dann zerwühlen englische Granaten auch bald den Friedhof. Das sind eigenartige Totensonntagsgedanken. Aber sie dürfen uns nicht schmerzen. Der Leib gilt ja nun einmal nichts mehr. Ich habe zerfetzte Leiber gesehen, Körper, von denen kaum etwas Erkennbares geblieben war, habe Körper zermodern und zerfallen sehen draußen in Wind und Wetter und Sonne u. habe wieder aufgewühlte Leichen gesehen, die ihre Ruhe nicht finden sollten im Schoß der Erde. Da sieht man's, daß der Leib nichts ist als Staub und Asche, nicht mehr und nicht weniger, da verliert man darum auch alle Scheu vor Leichen. Und daran müssen sich unsere Angehörigen daheim auch gewöhnen, daß, wie der grausige Krieg hier alles zerstört, so auch unsere Leiber zerfetzt und zerrissen werden. [...]

 

Am Sonntagabend um 3/4 10 Uhr.

Mein treues Lieb!

Eben komme ich zurück. Unser Bataillonskommandeur ist noch nicht da. Da habe ich bisher all' die Arbeit gehabt. Aber heute kam schon unser neuer Adjutant. Der kann jetzt die schriftlichen Sachen erledigen. Er gefällt mir übrigens sehr. Er ist Fabrikbesitzer, 31 Jahre alt u. hat sehr gesunde Ansichten. Gegessen hat er heute bei mir. Die Kompagnieführer haben wir nun alle zusammen. Aber die übrigen Offiziere fehlen meist noch. Die 10. Kompagnie hat Niediek wieder, die 11. u. 12. kriegen zwei Offiziere, die zu Anfang des Krieges gleich verwundet worden sind und seitdem wieder im Felde waren, Ltn. Hellwege und Ltn. Bockermann. Gut, daß nun endlich die Arbeit beginnen kann! Auch für unsere Leute ist's so besser. Sie waren doch eigentlich ohne jede Beschäftigung.

Heute abend habe ich noch einen Spazierritt nach Denain heraus gemacht. Ich war so wenig an der frischen Luft gewesen und wollte auf andere Gedanken kommen. Der Ritt hat mir auch gut getan. Ich hatte die ganze Zeit vorher nur ein einziges Mal geritten. Ich hatte kein Verlangen danach.

Nun ist der Totensonntag um. Der letzte steht mir noch klar in Erinnerung. Das Wetter war das gleiche. Wie es wohl immer am Totensonntage ist. Morgens trübe und dunstig und nachmittags und gegen Abend noch bleiche Novembersonne. Voriges Jahr fuhr ich zum Pionierkursus nach Seclin. Im Wagen morgens war's bitterkalt, im Zuge auch. In Lille war ich im Museum und in der Gemäldegalerie. Und abends saßen wir im schönen, gemütlichen Kasino in Seclin und lernten einer den andern allmählich kennen. Welch' schöne Tage sind damals gefolgt! Und am nächsten Sonnabend dann wurde August schon verwundet. Ich kann's nicht glauben, daß das alles nun schon ein Jahr zurückliegen soll. Immer wieder meine ich, so schnell als im Kriege sei mir nie die Zeit geflogen. Und gerade die Zeiten, die andere die langweiligsten nennen, die Schützengrabentage, schwinden mir am schnellsten. Ich habe nichts' dabei, wenn wir bald wieder in eine einigermaßen ruhige Stellung kommen. Augenblicklich tobt allerdings wohl der Kampf bei Beaucourt und Serre noch furchtbar. Auch die 15er sind wieder mit dabei gewesen. Selbst bei Gommécourt rechnet man noch mit Angriffen. Die Erfolge bei uns haben selbstredend den Engländern neuen Mut gegeben. - Morgen mehr, mein liebes Lieschen! Gute Nacht u. Gott befohlen!

 

Am Montagmittag 1 Uhr.

Mein heißgeliebtes Lieschen!

Da die Post gleich abgeht, muß ich schnell machen. Hier ist alles noch nicht geregelt. Jedenfalls wird die Post kaum so rasch überkommen, wie das im Schützengraben der Fall war. An den Schützengraben habe ich überhaupt schon oft wieder gedacht. Man hatte sich so gewöhnt. Und immer wieder fliegen meine Gedanken nach dort zurück. Trotz aller Gefahr und aller Not. All die Freunde und lieben Bekannten sind ja auch nicht mehr.

Heute morgen hat der neue Regimentskommandeur, Oberstleutnant v. Werder das Regiment bei Thiant zusammengehabt. Eine halbe Stunde von hier. Ein sonnenheller Morgen! Aber welch' wehmütige Gedanken! Wie wenige alte Leute hat's Regiment nur noch! Alles fremde, neue Gesichter. Das tut so wehe. Morgen will der Divisionskommandeur das Regiment sehen. Es gibt sehr viel Arbeit. - Aber Arbeit ist noch der größte Segen. Wenn nur nicht soviel alte Offiziere kommen, daß ich meine Kompagnie abgeben muß! Dann wäre ich totunglücklich. Das ist ja gerade das Einzige noch, was mich aufrechterhielt: Daß ich eine Kompagnie wieder heranbilden wollte wie es die alte 9. war. Geb's Gott, daß es so wird! - Ich bin mit herzlichen Grüßen und treuen heißen Küssen in dankbarer Liebe

Euer treuer Vater.

17.03.2013 в 23:50


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