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Feldpostbriefe unseres Großvaters, 1916, 2.2

03.03.1916
La Bassée, Frankreich, Frankreich

Feldpostbrief, 3. März 1916

In Reservestellung "Stützpunkt" am La B. -Kanal,Freitag, d. 3. März 1916, nachm. 3/4 2 Uhr.

Mein liebes, gutes Lieschen!

Gestern abend kam von Dir nichts. Nach dem lieben langen Sonntagsbriefe von vorgestern erwartete ich's ja allerdings auch kaum anders. Auch die Pakete sind noch nicht da! Sie gebrauchen natürlich stets einige Tage länger.

Gestern abend hätte ich mich auch über einen Brief von Dir kaum mal richtig freuen können. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Und weil wir Offiziere hier in der Reservestellung rein garnichts zu tun haben, so haben Kandelhardt, Wegener und ich im Anschluß an unser Mittagessen gestern nachmittag ein Gläschen von dem uns gegen Magenbeschwerden und vielleicht schädliches Trinkwasser gelieferten Rum nach dem andern getrunken. Bis es zu viel geworden war. Das merkte aber keiner eher, als bis wir den Unterstand verließen und ans Tageslicht kamen. Da war einer viel mehr gesprächig als der andere. Wir kamen allerdings fast im gleichen Augenblick wieder zur Besinnung, als bei den 16ern, links vom Kanal, gewaltige weiße Wolken aufstiegen. Natürlich Gasangriff. Aber der Wind kam falsch. Zudem hatten einige Leute gesehen, daß gewaltige Erdmassen hochgeschleudert worden seien. Und bald erfuhren wir auch, daß die Engländer vor Regiment 16 gesprengt hatten. Der Dampf war also Pulverdampf gewesen. Bei solchen Sprengungen entstehen Erdtrichter, in denen unser ganzes Haus bequem verschwinden könnte. Solche Trichter werden dann vom Gegner sofort besetzt, und es kostet meistens viel Blut, ihn wieder zu vertreiben. Versucht wirds aber stets, u. sehr häufig endet die Sache so, daß den einen Rand des Trichters die Engländer besetzt halten und den andern wir. Das gibt natürlich schlechte Nachbarschaft.

Um solche Sprengungen ausführen zu können, werden lange unterirdische Gänge (Minen oder Stollen) getrieben, oft in 20 u. mehr m Tiefe. Daran arbeiten besondere Kompagnien, Bergkompagnien, meist aus Bergleuten zusammengestellt, und oft bis unter den feindlichen Gräben durch. Eine furchtbar mühselige Arbeit. Damit der Gegner nicht aufmerksam wird, wird die Erde mit Taschenmessern losgeschabt und mit Händen in Sandsäcke gefüllt. Die werden herausgeschafft und nachts ausgeschüttet. Ab und zu wird eine längere Pause gemacht u. gehorcht, ob nicht über, unter oder neben uns schon die Gegner arbeiten. Das wird mit Hilfe von ganz feinen Apparaten festgestellt, die jede Erderschütterung sofort anzeigen. Hört man vom Gegner etwas, dann wird alles für eine Sprengung vorbereitet, und im geeigneten Augenblicke läßt man die ganze Geschichte in die Luft fliegen. So ist ja auch Rudolf damals verschüttet worden. Wie gestern Abend die Sache ausgelaufen ist, wissen wir noch nicht. Jedenfalls setzte auf beiden Seiten sofort die schwere Artillerie ein. An unserm Kanalufer war's ganz ruhig, und so konnten wir vom Kanal aus ungestört beobachten. Es war ein schaurig schönes Schauspiel, als es dämmerig wurde. Ein Schrapnel platzte neben dem andern in feurigem Kranze. Dazwischen gingen die warnenden roten Leuchtkugeln hoch, und das Artillerieduell steigerte sich rasch zu derartiger Heftigkeit, daß wohl kaum die Infanterie den Graben verlassen hat.

Als ich in meinen Unterstand kam, fühlte ich mich so müde, daß ich sofort eingeschlafen bin. Gut, daß Dein Brief fertig war! Schreiben hätte ich nicht mehr können.

Heute morgen regnete es. Trotzdem habe ich mit Kandelhardt wieder einen Spaziergang gemacht. Quer durch La Bassée. Was ist aus der unglücklichen Stadt in den paar Wochen geworden, die ich sie nicht mehr gesehen! Die alte schöne Kirche ist ein Steinhaufen, dem niemand mehr ansieht, daß er einst ein Gotteshaus war. Und noch immer schießt Tag für Tag die englische Artillerie in die tote Stadt. Unsern Feldgrauen, die in den Kellern hausen, macht das nichts.

Gott befohlen, Liesi! Mir geht's gut. Euch hoffentlich auch! Grüße alle, seid aber besonders Ihr drei Liebsten herzlichst gegrüßt u. geküßt von

Eurem treuen Vater.

12.03.2013 в 06:47


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