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Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Hauptmann Curt Kowalski Teil 1

16.08.1915
St. Michel, Frankreich, Frankreich

Stellungskrieg

Am 1. Juni 1915 war mein Geburtstag. Ich wurde durch ein Ständchen von meiner 2. Kompanie geweckt, ein Unteroffizier überreicht mir einen Strauß. Die Burschen des Regimentsstabes hatten Stubentüren, Stühle und den Tisch in rührender Weise mit Blumen geschmückt. Mittags kamen die Herren und wünschten mir Glück, darunter auch Leutnant Winkler, 6. Kompanie. Nachmittags um 4 Uhr lag er mit zerrissenem Körper vor mir. Ich hatte ja auch schon viel gesehen in den langen Kriegsmonaten, aber der Tod dieses Jungen, der durch alle Gefahren bei St. Michel unverwundet hervorgegangen war, der Tod auf diese elende Weise, fern ab vom Feind, hat mich mächtig ergriffen. [...]

Die erste Zeit, Anfang August, war verhältnismäßig ruhig; Mitte August setzte dann ein heftiges Minenfeuer, aus großen und kleineren Minen bestehend, ein. Das war nicht gerade schön, denn oft wurden in einer Stunde 60 - 80 schwere Minen auf die Stellung verschossen. Einmal wäre ich beinahe zerrissen worden, als ich im Hessengraben zur Stellung wanderte. Die Mine kam genau auf mich zu, so daß ich die mutmaßliche Aufschlagstelle nicht schätzen konnte. Sie detonierte keine 5m von mir auf der rückwärtigen Brustwehr und warf mich im Graben um und um, Sand, Steine und Qualm mir ins Gesicht schleudernd. Ich habe noch lange davon genug gehabt.

Für das Ausweichen und Decken bei Minenschießen hatte ich eine neue Art erfunden. In den "Heldenkeller" kam man doch nicht so schnell, außerdem war auch nicht immer einer in der Nähe. Jessen hatte allerdings eine merkwürdige Gewandtheit darin Heldenkeller zu finden, sich mit einem Kopfsprung herab zu stürzen und dann ein Hohngelächter anzustimmen. Ich hatte leider bis zum letzten Augenblick das Bücken nicht gelernt. Die Granaten ließen mich herzlich kalt. Also meine Methode war sich an einer Ecke aufzustellen und dann je nachdem wie die Minen einfielen auf die eine oder andere Seite zu springen. Das taten nachher alle meine Herren so.

Ein anderes Bild. Naturgemäß nahm mich das Minieren am Meisten in Anspruch. Stundenlang habe ich bei meinen Leuten vor Ort gesessen und das Klopfen und Arbeiten der Franzosen gehört. Ein eigenartiges Gefühl. Kein Laut ringsum als das Klopfen der Herzen und das Geräusch des arbeitenden Gegners. Ich hätte täglich sprengen können wie es ja Oberleutnant R. tat - ob zum Nutzen der eigenen Stellung bezweifele ich - aber ich wollte die Franzosen bis auf 12 - 15m herankommen lassen und sie dann mit tötlicher Sicherheit vernichten. 20 m waren sie etwa noch entfernt. Da hieß es Nerven behalten. Aber lieber ließ ich die Franzosen sprengen, als daß ich mir mein System zerstörte. Die Franzosen sprengten jedes Mal zu früh und erreichten damit wenig oder nichts. Die Stellung konnten sie nicht zerstören, meine Leute auch nicht abquetschen, da ich einerseits viel tiefer war, andererseits eine gut ausgebaute Minengalerie - das einzig brauchbare von meinem Herrn Vorgänger - besaß.

Drei Mal entstand Panik in der Stellung, in dem die Infanterie behauptete, die Franzosen bohrten bereits unter der vorderen Stellung. Das war ja nun undenkbar; sie hätten dann mindestens in einer Tiefe von 40m arbeitend unter mir durchgehen müssen und das war ausgeschlossen, da sämtliche 26 Stollen, die ich Mitte September in Betrieb hatte, teilweise mit dem Ohr, teilweise mit Horchgerät abgehorcht wurden und zwar dauernd. In den übrigen wurde noch gearbeitet und 8 Horchpausen innerhalb 24 Stunden eingelegt.Einmal stellte ich das Geräusch als das der sehr tief fliegenden französischen Flugzeuge fest, das sich in den Unterständen verfing und wie Bohrgeräusch erschien. Das zweite Mal war es ein starker Regen, das dritte Mal erschrak aber selbst Jessen. Nach wenigen Stunden hatten wir es heraus, es waren nagende Mäuse!, die piepsend enteilten, wenn man auf das Schurzholz schlug. Die Franzosen arbeiteten sehr vorsichtig, schlugen immer mit meinen Leuten zugleich und hörten auf, wenn wir aufhörten. Ich ließ in den gefährdeten Stollen weiter arbeiten und horchte mit Jessen zusammen vom Nebenstollen aus. Man hörte dann ganz genau das geringe Nachklappen der französischen Schläge. [...]

Die Arbeiten in den Stellungen wurden stark behindert durch die ungenügende Materialversorgung. Mir waren Minenwerfer zerschossen; trotz mehrfacher Anträge bei der Division habe ich keinen Ersatz erhalten. Schlimmer war es noch mit der Überweisung von Brettern und Faschinen; oft stockte die Arbeit vollständig. Bretter und Balken gab es fast gar nicht. Ich habe mich hierüber des öfteren beim Kommandeur der Pioniere persönlich wie auch bei seinem Adjutanten, beschwert und um reichlichere Materiallieferung gebeten. Der Erfolg war ein geringer. Dabei wurde vom Führer der Armeegruppe gefordert, daß selbst die Läger hinter der Front vorzüglich ausgebaut werden mußten. Die Ärzte wiesen mit Recht darauf hin, daß es im Interesse der Gesundheit der Truppe sei, die Unterstände, die ja tief in der Erde lagen, mit Brettern zu verschalen. Aber wie sollte das gemacht werden, da kaum genügend Holz für die Kampfgräben vorhanden war.

Es ist mir peinlich, aber trotzdem muß es gesagt werden. Kam man in die größeren Ortschaften, in denen die Stäbe lagen, so konnte man sehen, wo das kostbare Material blieb. Villen und Häuser haben sich die Stäbe bauen lassen, von denen jedes ein Kapital ausmachte, und von deren Bretter und Balken man ein ganzes Lager hätte bauen können und die von den vorderen Stellungen händeringend gebraucht wurden. Bezogen sind sie niemals, denn als sie fertig waren, schoß der Gegner in die Ortschaften und es wurde dort zu gefährlich. [...]

Der Weg vom Lager zur Stellung war fast unpassierbar geworden. Am 19.9. begab ich mich mit J. und einem Gefreiten zur Stellung. Als wir an den Südrand des Lagers kamen, lag die ganze Schlucht bis zur R-Stellung unter schwerem Granatfeuer. Es war 6 Uhr morgens. Wir warteten eine Weile bis die Gruppen auf einer anderen Stelle lagen und gingen dann weiter. Als wir uns aber gerade in der Mitte zwischen Lager und R.-Stellung befanden, war das Ziel schon wieder gewechselt. Gleich die ersten Lagen detonierten keine 15-20 m hinter uns. Deckungslose Ebene! Bis zur R.-Stellung noch 150m! Ich schrie: Schwärmen marsch, marsch! Und wir versuchten, die R.-Stellung zu erreichen. Lage auf Lage pfiff heran, die Granaten detonierten auf allen Seiten, wir waren mitten in diesem Hexenkessel. Ich glaube, niemand von uns gab einen Pfifferling für sein Leben. Dann stürzten wir in die R.-Stellung. Aber wir hatten die richtige Stelle verfehlt, kein Heldenkeller zu sehen. Wir lagen auf dem Boden und schöpften Luft, während Granate auf Granate dicht neben uns einschlug. Eine zerstörte die Schulterwehr. Als es etwas nachließ, liefen wir in der Stellung weiter, um einen Heldenkeller zu finden. Noch zweimal mußten wir uns hinlegen, ehe wir in seinen rettenden Schoß hinabtauchen konnten. ½ Stunde mußten wir noch sitzen. Wir waren gerade in das schlimmste Feuer hineingelaufen.

Die Schußzeiten und belegten Räume wurden nunmehr beobachtet. Und es gelang ohne Verluste die Ablösungen fast bis zum letzten Augenblick planmäßig aufrecht zu erhalten.

Im Lager hatte ich den Feldküchenraum, das Kasino und später noch meinen Unterstand den Mannschaften eingeräumt, so daß alle nach menschlichem Ermessen gegen Voltreffer bis 15 cm einschließlich geschützt waren. Während dieser Zeit begab ich mich noch täglich vom Lager in die Stellung und kehrte im Laufe des Tages dorthin zurück. [...]

Am Abend des 20.9.1915, wir wollten an diesem Tage die Verleihung des EK1 an Leutnant W. feiern, telefonierte mich Hauptmann T. noch an, teilte mir einige wichtige Beobachtungen mit und bat um Rat. Da mir die Nachrichten doch sehr bedrohlich erschienen, und ich sie infolgedessen nicht durch das Telefon abmachen wollte, so begab ich mich zur Gefechtsstelle. [...] Es waren Nachrichten gekommen, daß die Franzosen ihre Drahthindernisse forträumten und daß das Art.-Feuer nunmehr auf den Stellungen liege. Der Angriff stand also in Bälde bevor. Daß wir allerdings noch 5 Tage ein namensloses Art.-Feuer würden aushalten müssen, davon ahnten wir glücklicherweise nichts.

Mit Hauptmann T. zusammen legte ich am 21.9. noch eine Stellung fest, die vom Mansteingraben in nordwestlicher Richtung verlief und den Anschluß an die Steilhangstellung zum I.R. 17 bilden sollte, falls die Waldstellung nicht mehr zu halten war. Hier sah es schon seit Tagen furchtbar aus. Es rächten sich hier die schluchtartigen Schützengräben. Oft mußte man über den ebenen Boden springen. Die Infantristen unter Anleitung meiner Leute taten was sie konnten, es ging nichts mehr. Kaum war die Stellung fertig, war sie schon wieder zerstört. Aber es wurde mit zäher Energie weiter gearbeitet. Und es sollte noch schlimmer werden. [...]

Das Französische Art.Feuer hatte sich seit dem 20.9. abends ständig an Heftigkeit zunehmend von den Lagern aus schließlich auf die Stellungen gewandt. Aber nicht wie in der Winterschlacht dauerte es wenige Stunden des Tages, sondern ununterbrochen Tag und Nacht lagen die Granaten aller Kaliber bis einschl. 28cm auf den Stellungen und Annäherungswegen. Einzelne Schüsse waren stundenlang übehaupt nicht mehr zu unterscheiden. Es konnte sich nur der einen Begriff machen, der es mit angesehen und miterlebt hatte. [...]

Dann ging ich durch die Stellungen. Sie sahen furchtbar aus, besonders die der rechten Flügelkompanie. Schon am 22.9. war die linke Flügelkomp. an 8 Stellen völlig zugeschossen, die rechte Flügelkomp war kaum noch verwendungsfähig. Ich ließ das Minieren einstellen und teilte meine Kompanie sowie die Infantrie-Pion.-Komp. zur Wiederherstellung der zerschossenen Stellungen ein. Dieses gelang auch in der Nacht vom 22./23. 9. Trotz des Art.-Dauerfeuers. Um die Mittagszeit des 23. 9. war ein Verkehr schon nicht mehr möglich. Das Art.-Feuer hatte sich zu einer unerhörten Heftigkeit gesteigert. Und das Schlimmste war, es hörte auch bei Nacht nicht auf. Schon in der Nacht vom 23 .zum 24. 9. war eine Wiederherstellung unmöglich, obgleich bei jeder Kompanie 40 Pioniere und 60 Inf.-Pioniere arbeiteten. Selbst meine besten Unteroffiziere meldeten, daß ein Weiterarbeiten zur Unmöglichkeit geworden war. Dennoch wurde es versucht, einen Erfolg hat es nicht gehabt.

Alle Meldungen, die aus der Front zu den höheren Befehlsstellen abgeschickt wurden, daß ein Halten der vorderen Stellungen nicht mehr möglich sei, schienen nicht weitergegeben zu werden oder wurden nicht beachtet. Es kam auch niemand in die vordere Stellung! Du lieber Gott! Warum kam denn niemand, sich mal diese Stellung anzusehen? Ich glaube, dieser Befehl wäre nie gegeben oder doch wenigstens rückgängig gemacht worden. Aber kein Gen.-Stabsoff., kein Adjutant oder Ordenanzoff. ließ sich blicken. Sie kamen nur an ganz ruhigen und schönen Tagen, wunderten sich über die Ruhe, fanden die Stellung ausgezeichnet, sahen durch die Scharten, fanden das Schußfeld großartig und behaupteten, man könne sich wochenlang in der Stellung halten. Natürlich, wenn die französische Artillerie nicht schoß. Welch bodenlose Unkenntnis! [...]

Als ich am Morgen des verhängnisvollen 25. 9. in die Stellung ging, fand ich folgenden Zustand: Alle Gräben waren zum Teil arg zerschossen, die Eingänge in die Stellungen völlig eingeebnet; man mußte von Granattrichter zu Granattrichter springen, denn man sah nur noch Granattrichter. Der Boden war völlig zerwühlt, die Stellung einfach nicht mehr vorhanden. Obgleich ich doch jeden Zentimeter von der Stellung kannte, wußte ich nicht mehr, wo sie lief. Die Absicht, meine Leute zu besuchen, mußte ich aufgeben. [...]

Ins Mittellager zurückgekehrt erstattete ich Meldung an Hauptm. T. Noch einmal gelang es, mit dem Regt. Verbindung zu erhalten, uns ich erstattete auf bitten von T. persönlich Oberstltn. B. Meldung, daß ein Halten der Stellung unmöglich sei, da alles vorne vernichtet war. Auch bat ich nochmals um Art.-Unterstützung. Geschehen ist hierauf nichts. Unterdessen hatte sich auch im Mittellager das Bild zu unseren Ungunsten verschoben. Der ganze westliche Teil war von 28cm Granaten völlig vernichtet. Trichter lag an Trichter von 3 - 4m Tiefe und 6 - 7m Durchmesser und noch immer schlugen unaufhörlich mit furchtbaren Detonationen und unheimlicher Präzision die Granaten 150m von unserem Unterstand entfernt ein. Alle Fenster waren gesprungen und erzitterten und bebten.

Schon am 24.9. kam die französische Infanterie vor der linken Flügelkompanie ohne die Drahthindernisse fortgeräumt zu haben aus den Stellungen heraus. Der Zweck wurde uns bald furchtbar klar. Die um die "Heldenkeller" noch stehen gebliebenen Löcher wurden von unsere Infanterie sofort besetzt. Dann, als das erste Infanteriefeuer begann, zog sich der Gegner rasch in die Stellungen zurück. Der Zweck war ja erreicht. Die während des Kampfes unablässig über den Stellungen kreisenden Flieger hatten die Stolleneingänge, die noch nicht eingeschossen waren, erkannt. Art. und Minenwerfer legten ihr Feuer darauf und bald waren die wenigen noch lebenden Männer verschüttet. Das Schweigen des Todes breitete langsam seine Fittiche über den Stellungen aus. [...]

 

Einen Augenblick fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, mich zu meiner Kompanie zu begeben, von der ich schon 5 Tage abwesend war. Dann verwarf ich es, es klappte ja alles und die paar Unterschriften - wieviel Läuse der Mann habe und so - konnte ja auch W. in meiner Abwesenheit leisten. Hier war ich wichtiger. Das war mein Verhängnis. 2 Stunden später war die Tür ins Schloß gefallen, ein Entkommen nicht mehr möglich. Daran hatte ich zu der Zeit allerdings nicht gedacht.

Апублікавана 09.03.2013 в 04:59

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