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Erinnerungen eines Schülers im Dritten Reich

11.11.1939
Bernburg, Berlin, Deutschland

Es war zwei Tage nach dem 9. November 1938. Dieser Tag ist für immer als die "Reichspogromnacht" in die Geschichte eingegangen und in meinen frühen Erinnerungen für immer wach geblieben. Der Vater musste mit dem PKW in das nahe gelegene Bernburg, um dort betriebliche Regelungen und Besorgungen zu machen. Wie schon so oft kam er zu Hause vorbei gefahren und nahm mich mit. In der Stadt angekommen, sah ich am Louis-Braille-Platz an einem Geschäft ein mit frischen, hellen Brettern zugenageltes Schaufenster. Schon bald waren wir in der Lindenstraße eingebogen. Zu meinem Erstaunen waren auch hier beidseitig zur Ladentür die Schaufenster zugenagelt.

Der Vater schimpfte inzwischen aufgeregt und zornig vor sich hin. Jetzt frug ich nach, was die zugenagelten Fenster bedeuten. Ich erfuhr, dass der jüdische Kaufmann Madelong hier ein Bekleidungsgeschäft hat. Überall im ganzen Lande waren bei den jüdischen Geschäften die Schaufenster eingeschlagen worden. Das waren SA-Leute, die Waren aus den Geschäften und den Schaufenstern auf die Straße geworfen hatten. Wie ich noch vom Vater zu hören bekam war die Polizei nicht eingeschritten, ich hatte danach gefragt. Es wollte nicht in meinen Kopf, dass man so etwas tun kann, ohne bestraft zu werden. Aber schon passierten wir mit dem PKW fast das Ende der Wilhelmstraße hin zum Saalplatz. Hier war das große Kaufhaus von Willi Cohn, ein jüdischer Geschäftsinhaber. Zu meinem Entsetzen war hier noch ein größeres Ausmaß entsprechend der Ausdehnung des Objektes an vernagelten Schaufenstern zu sehen. Keines war ganz geblieben. Der Vater sagte mir sehr ernst, dass ich niemand sagen soll, was er da so alles gesagt hat. Ich redete nicht darüber, wollte ich doch in dieser so verworrenen Welt auch vorsichtig sein.

Im Jahre 1942 begegnete ich in Bernburg an der Ecke Kleine Hallesche-Str. zum Braille-Platz einen älteren Mann mit Stock und Hut. Auf seiner linken Brustseite des Wintermantels befand sich ein aufgenähter Judenstern. Ich erschrak sehr, als er unmittelbar an mir vorüber ging. Das Bild prägte sich so ein, dass ich mich noch an sein Gesicht erinnere. Im Moment erfasste mich ein so tiefes Mitgefühl. Ich nahm mir vor, solche gekennzeichneten Menschen niemals zu verachten oder gar zu demütigen.

Als wenig später im benachbarten Alsleben im Kino der Film "Jud Süß" an einem Sonntag zu sehen war, ging ich wie sonst gewohnt mit Mitschülern nicht mit. Vater hatte mir gesagt, dass in diesem Streifen gegen die Juden gehetzt wird. Mein Vater, Walter Müller, geb.15.o8.1898, wohnhaft gewesen in Beesedau 79, war Steinbruchsmeister in einem Steinbruch in der Flur zwischen Beesenlaublingen und Trebitz. Dieser Betrieb gehörte dem Berliner Unternehmer Wilhelm Pohlenz. Dort war der Vater langjährig bis 1942 tätig. Aber zum genannten Zeitpunkt wurde per Anordnung der Betrieb geschlossen, weil dieser nicht kriegswichtig war. Die Beschäftigten wurden dienstverpflichtet zum Bunawerk Schkopau. Mein Vater gelangte im Rahmen der Dienstverpflichtung als Betriebsleiter zu einer Firma Heinrich Köhler Berlin in das sogenannte "Generalgouvernement". Der Einsatzort war Turka am Stryi in Galizien. Heute gehört das Gebiet zur Ukraine. Dort trug er Verantwortung für einen großen Steinbruch, der in Besitz des genannten deutschen Unternehmers nach der Besetzung Polens geraten war.

Die Beschäftigten waren polnische Zwangsarbeiter, darunter 45 Juden. Bei den jüdischen, polnischen Arbeitern handelte es sich vorwiegend um Akademiker aus Lemberg und Umgebung. Vater brachte wenig später in Erfahrung, dass es sich bei den jüdischen Bürgern um die noch lebenden Juden handelte, die noch nicht umgebracht oder deportiert waren. Vaters Vorgänger war ein Oberingenieur Kruckenberg aus Österreich. Man sagte ihm nach, dass er dort ein Schreckensregiment geführt hat. Noch am Tage seiner Abreise befahl dieser einen polnischen Arbeiter wegen einer Kleinigkeit zu sich ein. Auf diesen schlug er mit der Peitsche ein. So wollte er zeigen, wie mit diesen „Leuten“ umzugehen ist. Vater sagte bei der Heimkehr später, dass seine erste Handlung war, die Peitsche hinter einen Schrank zu schmeißen. In der folgenden Zeit hat sich mein Vater dort im Betrieb für ein humaneres Klima eingesetzt. Er entschärfte im Rahmen des Möglichen die Arbeits- und Lebensbedingungen zum Positiven, unter denen besonders die jüdischen Menschen zu leiden hatten. Nach und nach kam er mit einigen von ihnen individuell ins Gespräch und gab sich als Mensch, als Humanist und auch als Nazigegner zu erkennen.

Er gewann bald das Vertrauen eines Dr. Hersch Buchmann, der ein studierter Sprachwissenschaftler war und auch die deutsche Sprache perfekt beherrschte. Dieser erzählte dem Vater von dem Grauen, das mit dem Eintreffen der SS im eroberten Galizien begann. Entsetzliche und grausame Vorgehensweisen von Verbrechen auch an Kindern hatte es da gegeben. Ein SS-Offizier mit dem Namen Strassmann hat viele Menschenleben auf dem Gewissen. So soll er einen jüdischen Zahnarzt namens Dr. April nach einer Behandlung erschossen haben. Nur wenigen Verfolgten ist die Flucht in die Wälder der Karpaten gelungen. Nach Vaters damaligen Aussagen gewann er stetig das Vertrauen der jüdischen Menschen. Ihm wurde Sympathie, Achtung und stille Dankbarkeit zuteil.

Als der Vater einmal auf dem dortigen Landratsamt in Lemberg was zu tun hatte, ging er auch zu der Behörde, die für Bezugscheine zuständig war. Er bat um Bezugscheine für neue Arbeitsschuhe mit Holzsohle für die jüdischen Arbeiter, weil dringender Bedarf sich zeigte. Sein Anliegen wurde hier als höchst verwunderlich bezeichnet. Die abschließende Auskunft lautete: “Die leben sowieso nicht mehr lange.“ Nach einem halben Jahr spürte der Vater, dass er das Vertrauen der Betriebsleitung und der der örtlichen Behörden nicht mehr hatte. Er hoffte auch insgesamt diese Tätigkeit nicht fortsetzen zu müssen. Darüber redete er auch mit Dr. Buchmann, der sich traurig und enttäuscht zeigte, andererseits dafür aber Verständnis zeigte. Es war damit zu rechnen, dass der Vater bald abberufen werden konnte, die russische Front rückte ohnehin näher. Dr. Buchmann war nun nicht untätig dem Vater noch eine Freude zu bereiten. Als der Tag kam sich zu verabschieden übergab der zum Freund gewordene polnische Jude dem Vater 12 kleine, weiße Kärtchen. Jeweils in der Mitte stand mit Tusche geschrieben mein Name „Alfred Müller“, das allerdings in arabisch, phönizisch ,hebräisch, griechisch, usw. Mit Bleistift sind in der linken unteren Ecke die Angaben vermerkt, um welche Schrift bzw. Sprache es sich handelt. Ich bekam diese Kärtchen im Frühsommer 1943 nach Vaters Rückkehr aus Turka. Auf Anraten des Vaters zeigte ich diese niemanden. Ich bewahrte sie zunächst in der Nazizeit sicher auf. Sie sind nun 70 Jahre in meinem Besitz. Die für mich so wertgeschätzten Exemplare bleiben für mich lebenslang Erinnerungen an einen Mann, der nur in meinen Vorstellungen einen Platz hat.

Weiterhin übergab Dr. Buchmann aber noch ein eilig gefertigtes Schachspiel für mich als Aufmerksamkeit und zur Erinnerung. Das Holz stammte von einem trockenen Apfelbaum im Betriebsgelände. Die Schachfiguren waren von einem Polen im Ort gedreht und geschnitzt. Alle Figuren sind noch vorhanden, sie sind noch in einem kleinen Holzkästchen aufbewahrt, die mit bunten kleinen Perlen bestückt ist. Das Schachbrett ist aus Holz in einem Stück. Dr. Buchmann hat sich schweren Herzens vom Vater verabschiedet. Es war seine Absicht gewesen, falls er überlebt, nach Palästina zu gehen. Dort wollte er ein Buch über den Leidensweg der Juden in Galizien schreiben. Darin wollte er in dankenswerter Weise meinen Vater als einen guten Deutschen einen Platz einräumen.

Mein Vater wurde nach dem Einsatz in Turka nun nach Schrems in Östereich zur Fa. Köhler–Berlin versetzt. Er hatte dort ein ungutes Gefühl, welches Schicksal die noch in Turka lebenden Juden haben könnten. Dr. Buchmann hat kein Buch schreiben können, er gelangte nicht nach Palästina! Kurze Zeit nach der Aufnahme der Tätigkeit als Steinbruchsmeister berichtete ein österreichischer Arbeiter, der von Turka ebenso nach Schrems gekommen war, dass eines Nachts eine SS-Einheit alle 45 Juden erschossen hat. Der Vater schilderte während eines Kurzaufenthaltes zu Hause der Mutter und mir wie sehr ihn die Nachricht getroffen hat. Vater sagte in Verzweiflung, dass wenn einst alle Verbrechen der Nazis an den Juden sich rächen werden, dann müssten viele Deutsche sterben.

Bald auch konnte er auch die Tätigkeit in Schrems beenden, dort waren wiederum viele entrechtete deportierte Fremdarbeiter aus dem Osten, die dort schuften mussten. Das verbitterte ihn noch mehr. Nun war er seit Anfang 1944 wieder zu Hause und arbeitete als Elektriker in einem nahe gelegenen Betrieb. Plötzlich und in keiner Weise mehr erwartet, wurde der Vater am 28.6.1944 mit 46 Jahren noch zur Wehrmacht einberufen. Er überlebte gegen Kriegsende die Kesselschlacht von Königsberg und geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Im Oktober 1995 erhielt ich von der Dienststelle der Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht in Berlin-Wilmersdorf die verbindliche Nachricht, dass mein Vater in Rubcowsk Region Altai am 15.11.1945 an Dystrophie verstorben ist. Dieses Schicksal wird mich bis zum Lebensende begleiten.

Die Abschriften amtlicher Unterlagen aus russischen Archiven liegen mir vor. Entsprechende Nachforschungen  meinerseits machten es möglich. Nach Kriegsende habe ich interessiert die Kriegsverbrecherprozesse verfolgt. Die Ermordung von 6 Millionen Juden war für unsere Nation eine Schande, der Holocaust ein Verbrechen der der Hitlerclique, das nie vergessen werden kann. Viele Kriegsverbrecher erfuhren ihre gerechte Strafe. Es gab aber auch viele Deutsche, die Juden in ihrer Not halfen, versteckten und ihre Menschlichkeit bewahrten und keine Schuld auf sich luden. Ich bin meinem Vater dankbar wie er mich erzogen hat. Ich verurteile jeden Antisemitismus, sogar in seinen Ansätzen.

Дата публікації 06.03.2013 в 03:11

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