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Kulturleben in russischer Kriegsgefangenschaft

25.06.1945
Borowitschi, Novgorod, Russland

Im Kriegsgefangenenlager in Borowitschi, wohin ich im Mai 1945 gekommen war, mussten wir Gefangenen zunächst politische Informationen über den Sozialismus in großen Mengen über uns ergehen lassen. Hier erlebten wir die wundersamsten Geschichtsumwandlungen. Wir hatten das Gefühl, dass alles, was wir kannten, in der Sowjetunion schon vor Hunderten von Jahren geplant war. Während dieser Zeit wurden wir auch ärztlich betreut. Mit großer Sorgfalt wurden wir entlaust und auch mit Erfolg. Bis auf Wanzen blieben wir ungezieferfrei.

Während der dreiwöchigen Quarantänezeit begannen die Russen schon mit der politischen und kulturellen Umschulung. Nach der Quarantänezeit begann die Arbeit, wir landeten als einzelne Mitarbeiter oder auch in kleineren Gruppen in den Verschiedensten Abteilungen der zentralen Werkstätten. Ich landete als Einzelperson in der Feilenhauerei, einige als Maschinenarbeiter in den jeweiligen Abteilungen. Wir waren somit richtige Mitarbeiter der russischen Werktätigen. Wir wurden weder schikaniert noch für dumm verkauft. Beinahe hätten wir unsere Gefangenschaft vergessen. Auch das Verhältnis unseres Kommandos zum Natschalnik, dem Chef der ganzen Betriebsanlage, war ungetrübt. Dieses viermonatige Kommando bei den Zentralwerkstätten brachte unser seelisches Gleichgewicht wieder in Ordnung, und unsere Einstellung zu den damaligen Verhältnissen änderte sich gewaltig. Wir hatten unsere Würde wieder gewonnen und unser eigenes Ich stabilisiert.

Da man uns deutschen Gefangenen immer vorwarf, keine Kultur zu besitzen, und uns bei jeder Gelegenheit sagte: "Nix Kultura!", glaubten wir es bald selbst. Nachdem wir begriffen hatten, dass es bis zur Heimkehr noch eine geraume Zeit dauern würde, fanden wir die Selbstachtung wieder. Der Selbsterhaltungstrieb meldete sich zurück. Es war ja auch sehr schwierig, denn bei der Gefangennahme waren wir auf den absoluten Nullpunkt gebracht worden; und nach der Filzung hatten wir gar nichts mehr.

Wie gesagt, liefen wir zunächst aber immer noch unter dem Motto "N IX KULTURA!" So hieß es auch eines Tages: "Alle deutschen Gefangenen auf zur Ungarnbaracke!" Dort sollten wir einer Kulturveranstaltung beiwohnen. Da wir ja angeblich ewig nichts mehr mit Kultur zu tun hatten, sollten wir wieder "kulturzugänglich" gemacht werden. Zwei Ungarn standen im Raum, einer mit einer Geige und einer mit einem Tamburin. Sie spielten uns jetzt etwas vor und wir mussten zuhören. Nun war uns ungarische Zigeunermusik ja nicht unbekannt, aber diese beiden haben irgendwie eine neue Zigeunermusik gespielt. Einige Leute, die eine Ahnung von Musik hatten, schüttelten den Kopf und sagten es laut und deutlich: Russische Musik hätte uns bestimmt besser gefallen. Zunächst aber mussten wir Begeisterung spielen und applaudieren.


Dieses Ereignis spornte einige deutsche Musiker an und sie wollten ein deutsches Lagerorchester gründen. Bei zweitausend deutschen Gefangenen gibt es schließlich genug Musiker aller Schattierungen. Unter russischer Mithilfe ist dieses Unterfangen auch gelungen. So nach und nach besorgten die Russen auch die dazugehörenden Instrumente. Und siehe da: Es wurde ein gutes Orchester. Parallel hierzu bildete sich auch eine Theatergruppe, wozu der Russe auch alle Utensilien besorgte.

Irgendwann wurde zwischen der Lagerverwaltung und der ersten Baracke ein Klubhaus gebaut, speziell für kulturelle Veranstaltungen. Eine Bühne mit einigen Scheinwerfern und auch die Sitzbänke besorgten die Russen. Jetzt wurde geprobt und geübt. Das Kulturleben im Lager blühte auf. Das Orchester spielte an den langen Sommerabenden manchmal bis 24 Uhr am "Roten Stern". Das war der große Platz des Lagers: Ein aus Ziegelsplitt gebildeter roter Stern mit Bänken drum herum und somit der politische Mittelpunkt des Lagers. Es dauerte auch gar nicht lange, da konnten unsere Kulturgruppen ihre Veranstaltungen aufführen. Es gab Konzertabende und auch Theatervorführungen. Als dann "Gräfin Mariza“ aufgeführt wurde, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Alle Rollen waren von Männern gespielt. Bei den Vorführungen waren die ersten Reihen immer für die Russen mit ihren Angehörigen reserviert. Nun hatten wir doch wieder "Kultur" und konnten sie auch anbieten.

03.03.2013 в 22:28

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