Wir hatten den 23. März 1945, aus einem deutschen Offizier war ein Kriegsgefangener geworden. Jetzt weiß ich, dass dieser rechtlose Zustand genau 1689 Tage andauern sollte, bis zum 5. November 1949, und dass auch die Rückkehr in die geliebte Familie danach eine sehr schwere Aufgabe werden würde. Doch noch fing alles erst an.
In einem Lastwagen fuhren wir – nun schon eine Gruppe Rechtloser, teils Soldaten, teils Zwangsarbeiter – direkt auf Wesel zu. Im Straßengraben sah ich in oder neben Schutzgräben getötete deutsche Soldaten, noch halbe Kinder, mit verzerrten Gliedern und im Entsetzen erstarrtem Gesichtsausdruck. Sie waren gezwungen worden, jeder allein in einem Loch, mit der Panzerfaust in der Hand, die amerikanischen Panzer abzuwarten und dann abzuschießen – wenn sie noch Zeit dazu hatten. Jetzt waren sie tot, waren sie „Helden“? Oder „Verführte“ oder „Kriegsverbrecher“? Auf jeden Fall wird man sie an den zur Totenehrung bestimmten Sonntagen erst an zweiter Stelle nennen, und man wird gewissenhaft vorher erklären, dass die Deutschen ja selbst das Unheil geschaffen hätten. In diese kleine Lücke der Totenehrung wird man diese um ihr Leben Betrogenen hineinrutschen lassen, ebenso wie die Millionen in den Städten im Bombenterror verbrannten Frauen und Kinder. Die Zahl dieser unschuldigen Opfer wird man gewissenhaft möglichst klein rechnen, es wäre ja fast peinlich, die deutschen Opfer überhaupt zu erwähnen. Die deutsche Wehrmacht, so wird man in angesehenen Ausstellungen von ebenso angesehenen Urhebern erklären, war ein Verband verbrecherischer, gewissenloser Deutscher. Und diese selbstzerstörerische Manie wird weitergeführt bei dem unseligen Afghanistan-Krieg, der keiner sein darf. Wehe, wenn ein deutscher Soldat einen Taliban-Krieger erschießt, ohne ihn vorher nach seinem Ausweis gefragt zu haben!
Das Leben kennt anderes als diese offiziellen Minderwertigkeiten. Wenn zum Beispiel ein älterer Deutscher einen etwa ebenso alten Engländer oder Franzosen trifft, wird einer den anderen fragen: Waren Sie auch im Krieg? Ja? Und wo? Und man wird sich die Fronten erzählen und erfreut einen neuen Kriegskameraden erkennen. Zwar auf der anderen Seite, aber ein Schicksalsgefährte.