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Winter in russischer Kriegsgefangenschaft

21.01.1946
Borowitschi, Novgorod, Russland

Im Mai 1945 kam ich in ein Kriegsgefangenenlager in der russischen Industriestadt Borowitschi, wo wir zu Arbeitsbrigaden zusammengestellt wurden. Schon im Oktober ging es dort mit Schnee und Eis schon los. Ein Arbeitstag im Winter bei minus 25 Grad sah ungefähr folgendermaßen aus: Am Morgen um sechs Uhr Unruhe in der Baracke. Es erscholl der Ruf : "Essenholer heraustreten zum Suppen- und Brotempfang!" Von jeder Essgruppe - eine Essgruppe waren immer 10 Personen - setzten sich zwei Personen in Trab und begaben sich zur Küchenbaracke. Einer holte die Suppe, und der andere holte die Brotportionen für die Gruppe.

Während die beiden unterwegs waren, geriet der Rest der Gruppe in helle Aufregung. Die Essgeschirre (meistens Konservendosen) wurden vorne aufgestellt. Hierbei gab es ein ganz bestimmtes Verfahren. Die zehn Mann der Gruppe waren von 1-10 nummeriert. Somit hatte jeder eine Nummer, die sehr wichtig war. Heute hatte die Nr. 1 das Essgeschirr vorne stehen und morgen die Nr. 2. So ging das Tag für Tag weiter. Hiermit sollte verhindert werden, dass die Geschirre immer gleich standen. Nun wurde bei der Suppenverteilung mächtig aufgepasst, damit ja immer richtig gerührt wurde. Ebenso war es bei der Brotverteilung. Das Brot war immer in 400g-Scheiben geschnitten. So wie das Brot getragen war, wurde es auch verteilt. Nur das Kantenstück wanderte reihum wie bei dem Suppenverfahren. Somit war das "Kantenproblem" auch hier gelöst. Die 400g-Scheibe musste aber noch einmal geteilt werden, denn pro Person gab es 200 Gramm. Das war jetzt eine Zeremonie für sich: "A" musste das Brot jetzt so teilen, dass zwei gleiche Stücke entstanden. Um das Mogeln zu verhindern, durfte sich "B" dann ein Stück seiner Wahl wegnehmen. Jetzt wurde erst einmal kritisch geprüft, welches wohl das größere Stück sein konnte. Das linke Stück wird jetzt genommen. Oder ist nicht doch das rechte Stück größer? Die Hand versucht beim Greifen noch schnell die Richtung zu wechseln. Es wurde aber doch das linke Stück genommen. Dann kam der große Ärger, dass man sich wieder mal, wie immer, vergriffen hatte. Aber beim nächsten mal wird besser aufgepasst! Bei diesem Verfahren, welches sich unter zwanzig Augen zweimal täglich abspielte, war eine Schummelei so gut wie ausgeschlossen. An den Werktagen bekamen wir die Mittagsverpflegung im Kombinat.

Jetzt fing die Vorführung an, denn am Barackeneingang herrschte schon Unruhe, d.h. die Brot- und Suppenholer waren erschienen. Jetzt wurde es hektisch, und die beschriebenen Zeremonien begannen. All dieses spielte sich bei erwachsenen Menschen ab - vom Arbeiter bis zum Professor! Es zeugt davon, was der Hunger für Tragödien hervorbringen kann. Es wurden sogar kleine Brotwaagen gebaut, mit denen man bis auf 1 Gramm die Brotstücke auswiegen konnte. Als Brot und Suppe verzehrt waren, war es auch schon soweit: Die Arbeitsbrigaden wurden aufgerufen und sammelten sich innerhalb des Lagers vor dem großen Ausgangstor. Über dem Tor war mit großer Schrift zu lesen: "Ehrliche Arbeit bahnt den Weg zur Heimat“. Der eiskalte Wind schnitt uns ins Gesicht, und 20 bis 25 Grad ließen uns erst mal ganz schön bibbern. Da das Wetter noch nicht so ganz beständig war, hatten wir noch keine Filzstiefel.

Jetzt ging es brigadeweise durchs Tor dem Kombinat entgegen. Unsere Atmung hatte sich so langsam an die schneidende Kälte gewöhnt. Rund um die Nase bildete sich langsam Reif, und unsere Augenbrauen bekamen auch einen weißen Schimmer. In Fünferreihen bewältigten wir Schnee und Glätte, und auf dem halben Wege spürten wir unsere Füße schon nicht mehr. Als wir endlich ankamen und die Werkstatt betraten, wurden erst einmal die Schmiedefeuer entfacht, ebenso der große Kanonenofen, der in der Mitte der Werkstatt stand. Entgegen aller wissenschaftlichen Vorträge haben wir uns die Füße direkt am Schmiedefeuer oder am Ofen aufgetaut.

Jetzt erst ging die Arbeiterei los. Im Winter hatten wir eine dauernde Triefnase. Wenn am Morgen die Werkstatt noch kalt war, und ein Tropfen auf eine Blechplatte fiel, gefror er sofort zu Eis. Dank der drei Feuerstellen hatten wir unsere Werkstatt bald aufgeheizt und es war erträglich. Es wurde Mittag, und zwei Mann zogen los zur Werksküche und holten Suppe und Brot. Wir hatten eine halbe Stunde Mittagpause, saßen um den Kanonenofen, aßen Suppe und rösteten unser Brot. Manchmal tranken wir unsere Suppe, teilten das Brot in zwei Scheiben und belegten es mit dem Rest der Suppe. Man machte sich eben immer etwas vor.

Unser Meister wohnte nicht weit vom Kombinat und ging zu Mittag immer nach Hause. Das war immer eine gute Zeit für unsere Schwarzarbeit. Wenn er wiederkam, waren wir wieder voll im Arbeitsprozess. Gegen halb fünf war Feierabend, und es war schon dunkel. Wir sammelten uns auf dem Werksgelände, brigadeweise wurden wir gezählt, und dann zogen wir heim zum Lager. Jetzt wieder das Gleiche wie am Morgen: Raureif an Nase und Augenbrauen, kalte Füße usw. Am Lager angekommen, öffnete sich das Tor. Wir wurden gezählt und wieder hereingelassen. Manchmal schleppten wir uns mühselig zur Baracke.

Wenn alle Arbeitsbrigaden zurückgekehrt waren, kam die Prowerka, das war die große Zählung. Alle Gefangenen mussten sich vor ihren Baracken in Dreierreihen aufstellen. Schön ausgerichtet und übersichtlich. Zwei Zählkommandos von der Lagerleitung sowie von der deutschen Antifa begannen mit der großen Zählung. Auf Holzbrettchen wurden Zahlen geschrieben, addiert und gerechnet. So ging es von Baracke zu Baracke. Zum Schluss verschwanden die Zähler in die Verwaltungsbaracke, und wir durften bei 25 Grad Kälte draußen warten. Endlich kam einer heraus und betätigte den großen Gong (ein großes Stück Eisenbahnschiene). Die Zählung war somit beendet. Es war also keiner abgehauen. Manchmal geschah es auch, dass etwas nicht stimmte, und es wurde noch einmal gezählt. Im Handumdrehen hatten wir wieder eiskalte Füße.

Jetzt wurden die einzelnen Baracken zum Essensempfang aufgerufen, und das Verfahren vom frühen Morgen wiederholte sich. Nur mit dem Unterschied, dass man jetzt mehr Ruhe hatte. In unserer Baracke hatten wir zwei Kulturecken. Das waren Tische mit vier Bänken drum herum. Wenn man Lust hatte, traf man sich hier noch und unterhielt sich ein wenig, meistens über die Esserei. So nach und nach erlosch das Barackenleben, und es trat Ruhe ein. Was sich jetzt noch bewegte, waren die Wanzen. Hiervon hatten wir eine reichliche Menge. In den ersten Monaten waren wir total zerstochen und völlig verbeult. Mittlerweile hatten wir wahrscheinlich schon Gegengifte aufgebaut, denn nur noch selten hatten wir Beulen. Die Wanzen waren aber noch da. Mit Karbidstückchen, die wir vom Kombinat mitbrachten, versuchten wir sie zu vertreiben. Es wirkte wohl doch nicht.

Vorne am Barackeneingang musste in der Nacht immer eine Wache aufgestellt werden, damit keiner von einer anderen Baracke sich bei uns einschummeln konnte, um Gegenstände zu stehlen. Da die Baracke mit ca. 300 Gefangenen belegt war und die Wache reihum ging, kamen wir nur selten dran. Da wir keine Uhren hatten, gab es am Barackeneingang eine große Pappuhr mit Pappzeigern. Nach Gutdünken wurde die Uhr dann jeweils gestellt. Stündlich war Wachablösung von 22 Uhr bis zum Morgen um 6 Uhr.

Am Ausgang hingen noch einige dicke Wehrmachtsmäntel für die vielen Landser, die im Laufe der Nacht zur Latrine mussten. Sie konnten sich dann einen Mantel überziehen und 20 Meter mit Holzpantinen durch den Schnee stapfen. Dieses alles auch bei bitterster Kälte, oft bei mehr als 30 Grad minus. Wenn die Temperatur am Morgen unter 30 Grad gesunken war, brauchten wir nicht zum Arbeitseinsatz. Wir hatten dann einen faulen Ruhetag. Eines Tages, es war kurz vor Weihnachten, stand eines Morgens plötzlich eine große öffentliche Uhr mitten im Lager. Ein Uhrmacher hatte diese Uhr in geheimer Arbeit in der Lagerschlosserei gebaut. Sie war zwar primitiv, aber gut. Das Uhrwerk lief mit Gewichten. So vergingen viele Wintertage, und wir erwarteten sehnlichst den Frühling.

04.03.2013 в 19:33


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