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Fahrt ins russische Kriegsgefangenenlager Borowitschi 1945

21.05.1945
Borowitschi, Novgorod, Russland

Nach meiner Gefangennahme durch die Russen im März 1945 war ich zunächst in einem Sammellager in Tilsit untergebracht. Mittlerweile war es Pfingsten. Die Bäume standen in voller Blüte. In unserem Auffanglager wurde ein Transport nach Rußland zusammengestellt, dem auch ich angehörte. Im Laufe des Vormittags war alles voller Hektik und Aufregung. Am Nachmittag war die Truppe zusammengestellt und wir trabten zum Bahnhof. Unsere Köpfe waren voll mit russischen Geschichten. Angefangen bei Napoleon über Sibirien, die transsibirische Eisenbahn, über die Gefangenenlager des Ersten Weltkrieges bis zu den Straflagern der Revolution. Wir sahen uns schon in den schlimmsten Situationen, welche da waren: Holzfäller, Pelztierjäger usw.

Am Bahnhof angekommen, sahen wir schon die bereit stehenden Waggons (Güterwagen) und unsere Gedanken gerieten noch mehr durcheinander. Was wir bisher erlebten war nur die Ouvertüre. Die Hauptvorstellung begann erst jetzt. Als wir unseren Waggon bestiegen hatten, kehrte die Ruhe wieder ein, und wir orientierten uns erst einmal. In der Mitte war die große Schiebetür und rechts und links waren die Pritschen angebracht. Ich weiß heute nicht mehr, wie viele Personen wir im Waggon waren. Der Raum war aber nicht beengt. In der Mitte stand ein Kanonenofen. Da es draußen ja schon recht warm war, ahnten wir Schlimmes. In einer Ecke war ein großer Trichter, der auf die Schienen gerichtet war und unsere Toilette darstellte. Die Schiebetür wurde geschlossen und von außen mit Stahlbolzen gesichert. Die kleinen Luftöffnungen des Waggons waren mit starken Gittern versehen. Jetzt gab es kein Entweichen mehr.

Die Wachmannschaft lief dauernd am Zug hin und her, kontrollierte und war mit den Waggons voll beschäftigt. Einige von uns hatten am "Ausguck" Platz genommen und beobachteten das Geschehen. Da wir im Lager ja noch unsere Mittagsverpflegung bekommen hatten, bekamen wir als Reiseverpflegung eine Zuteilung Trockenbrot. Es war sehr hart, und wir fingen schon an zu knabbern. Seit der Gefangennahme wechselte dauernd unser Bekanntenkreis, und jetzt waren wir auch wieder eine neue Gruppe. Aber bei den Landsern ist das kein Problem. Schnell sind die Kumpels wieder ein neuer Haufen.

Plötzlich war draußen Unruhe. Eine Lok gab ein durchdringendes Pfeifsignal, und kurz darauf wurde unser Waggon durcheinandergeschüttelt. Ein Getue an den Kupplungen ließ uns wissen, dass es bald losgehen würde. Wir richteten uns ein und nahmen auf den Pritschen die Plätze ein. Ein Jeder war mit seinen Gedanken schon irgendwo in Rußland. Wir kamen uns vor wie Nullpersonen, denn wir hatten gar nichts mehr. Unsere Namen hatten wir behalten, und die kannten wir auch noch. Das Wichtigste zur damaligen Zeit waren ein Essgeschirr (Konservendose) und der dazugehörende Löffel. Mein Kochgeschirr und Essbesteck hatte irgend ein Russe im Tagesgebrauch. Wir waren also absolute "Habenichtse".

Jetzt ging ein Ruck durch den Waggon, und die Räder fingen an zu rollen. Da es schon Mai war, blieben die Abende noch lange hell. So langsam wurden wir untereinander bekannt, und verschiedene Schicksale offenbarten sich. Die Landser aus dem Kurlandkessel waren noch am besten dran, denn sie waren nur entwaffnet worden und nicht gefilzt, da sie sich kampflos ergeben hatten. Wir, die im Kampfgetümmel in Gefangenschaft geraten waren, wurden nicht nur entwaffnet, sondern auch noch total enteignet. Die Zukunftsaussichten waren damals gleich null. Was auf uns zukam, konnte keiner ahnen. Wir knabberten unser Trockenbrot weiter, und als es dunkelte, legten wir uns nieder und ließen uns in den Schlaf rattern.

Als wir erwachten, wurde es draußen auch schon hell. Wie spät es war, konnte keiner sagen, denn eine Uhr hatte weit und breit keiner. Der Sonne nach rollten wir gen Osten. Dieses mal aber mit anderen Aufgaben. Welcher Art wussten wir noch nicht. Jedenfalls machten wir uns nicht gegenseitig verrückt sondern hofften, dass es wohl nicht so schlimm kommen würde. So langsam meldete sich auch unser Magen, obwohl andere Probleme uns fast erdrückten. Unser Zug fuhr langsamer, die Lok pfiff, und wir standen. Wieder Unruhe draußen. Die Wachmannschaft öffnete die Türen, Essenskübel wurden angetragen, und die Tagessuppe wurde ausgegeben. Irgendwie war das gut organisiert, denn wir standen auf freier Strecke. Es gab einen Topf heiße Suppe und die Tagesration Trockenbrot. Nach der Abfertigung wieder das Verschließen der Türen und draußen wieder Unruhe. Ein warnendes Pfeifen der Lok, die Wachmannschaft stieg ein, und unser Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Wie viele Tage wir genau gefahren sind, weiß ich gar nicht mehr. Es werden wohl 5-6 Tage gewesen sein. Es ging immer weiter nach Osten, und es wurde auch immer kälter. Wie wir durch die Fenster sahen, waren die Bäume hier noch kahl. So langsam bekamen wir ein komisches Gefühl. Eines Morgens im frühen Morgengrauen wurde unser Zug immer langsamer. An den vielen Weichen, die wir überfuhren, merkten wir, dass wir uns einer Stadt näherten. Und so war es auch. Wir rollten auf einen Güterbahnhof, und dann standen wir auch schon. Durch die kleinen Guckfenster sahen wir, dass hier an den Güterschuppen schon heftiges Treiben herrschte. Frauen mit ihren dicken Wattejacken entluden einige Güterwagen und transportierten die Waren in die Schuppen. Nun ist so etwas ja nichts Neues, sondern überall so üblich. Hier aber war es irgendwie anders. Die Frauen mit den Wattejacken, die Schuppen und die Laderampen, alles grau in grau. Es war auch ungemütlich kalt, und die Bäume waren auch noch kahl. Dieses alles gab uns ein seltsames Gefühl.

Große Unruhe draußen. Die Türen wurden geöffnet, und wir mussten aussteigen. Eine große russische Eskorte stand schon bereit, uns zu empfangen. Es ging alles ganz fix. Jetzt sahen wir auch, was los war. Etwas weiter von uns war der normale Personenbahnhof, und rundherum Fabriken und Schornsteine. Nun wussten wir, dass wir unser Ziel erreicht hatten. Aber wo waren wir nur ? Es war ungemütlich und kalt. In Fünferreihen mussten wir uns formieren und dann ging es los. Als wir am Bahnhof vorbei kamen, sahen wir das Bahnhofsschild und wussten nun, wo wir waren. Die Stadt hieß BOROWITSCHI. Da einige schon russisch lesen konnten, war dieses Geheimnis schnell gelöst. Wir trabten jetzt am Bahnhof vorbei durch die Stadt. Auch hier alles trostlos grau in grau. Eine gespenstische Ruhe lag wie eine Glocke über uns.

Ein Landser neben mir - er hieß Heinz Bucholz und war aus Berlin - pfiff eine bekannte russische Weise vor sich hin und machte alles noch melancholischer. Am Ende der Stadt überquerten wir über eine große Stahlbogenbrücke einen Fluss. Es war die MSTA (schwer auszusprechen). In der Brückenmitte hing in der Stahlkonstruktion eine große Normaluhr. Trotzdem weiß ich heute nicht mehr, zu welcher Zeit wir damals die Brücke passierten. Es war jedenfalls noch sehr früh. Am Ende der Stadt ging es dann etwas bergauf. Wir ließen die Häuser hinter uns und erblickten plötzlich an der rechten Straßenseite eine kleine russische Kirche mit einem Friedhof. Sie war unansehnlich und verfallen. An der gegenüberliegenden Seite war eine kleine Soldatenunterkunft, wo unsere Wachmannschaft zuhause war.


Wir zogen weiter und sahen in der Ferne ein Lager auftauchen. Dieses war, wie wir erahnten, unser Lager. Nach ca. 6 km hatten wir es erreicht. Die Russen waren schon vorbereitet und hatten uns große Lagerfeuer im Vorfeld des Lagers angezündet, damit wir uns während der Wartezeit erwärmen konnten. Diese positive Seite des Empfangs versöhnte uns mit der trostlosen Lage des Lagers. Aber wir waren ja schließlich Kriegsgefangene. Das Lager war etwa 70 Meter von der Straße entfernt und lag an einem leichten Hang. Über dem Eingangstor stand in großen Buchstaben der Schriftzug: "Ehrliche Arbeit bahnt den Weg zur Heimat".

Schubweise wurden wir mit unseren Personalakten, die die Russen schon in den Händen hatten, verglichen und registriert. Danach betraten wir das Lager und wurden in die Baracken eingewiesen. Ich kam in die Baracke 3. Man sagte zwar "Baracken" zu diesen Unterkünften, aber es waren mehr oder weniger Erdhöhlen, die halb im Erdreich eingegraben waren. Sie waren komplett mit Holz ausgeschlagen und hatten auch ein Dach. Dieses alles war mit Erde überschüttet und mit Gras bewachsen. An den beiden Kopfenden waren die Eingänge und an den Seiten waren kleine Gräben, die zu den Fenstern führten. Innen waren in 4 Reihen Pritschen in zwei Ebenen vorhanden, einfache Holzbretter und oben am Kopfende ein schräges Brett als Kopfkissenersatz. Ich hatte einen Platz in der ersten Etage oben und musste immer klettern, wenn ich mich lang legen wollte. Bettzeug gab es nicht. Wir hatten nur unsere mittlerweile zerlumpte Uniform und unseren Militärmantel. Da es noch sehr kalt war, hatten wir eine bestimmte Schlaftechnik entwickelt, um nicht zu frieren.

Eine Baracke war mit ca. 300 Personen belegt, so dass die Körperwärme schon für eine Grundwärme sorgte. Außerdem lagen wir wie die Ölsardinen dicht an dicht nebeneinander. Hinter den Eingängen waren die Kopfstuben für den Barackenältesten und für die Antifa-Propagandisten. Für uns war dies alles eine völlig neue Wohnkultur. Gut, dass wir noch nicht wussten wie lange wir dieses Leben führen mussten. Wie wir dann später erfuhren, war Borowitschi eine Industriestadt zwischen Moskau und Leningrad östlich der Eisenbahnlinie an der Msta. Ein Abzweigung von der Haupteisenbahnlinie führte nach Borowitschi und endete hier in dieser Industriestadt. Ab hier begann wohl die Steppe. Als wir dies alles wussten, hatten wir begriffen, dass uns Sibirien wohl erspart bleiben würde. Jetzt hatten wir erst einmal drei Wochen Quarantäne und der Hauptfilm der Gefangenschaft begann.

03.03.2013 в 17:12


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