Feldpostbrief, 31. Oktober 1916
Im Bismarckstollen am Ancrebach, B 6
am Dienstag, d. 31. Oktober 1916, morgens 10 Uhr.
Mein heißgeliebter, kleiner Helmut!
Zwei Jahre bist Du nun alt. Und kaum 5 Wochen von den 104 Deines jungen Lebens hat sich Dein Vater Deines Anblicks freuen dürfen. Aber gottlob ist das nicht die einzige Freude geblieben! Dein gutes Mütterlein hat mir in lieben Briefen so oft und so trefflich Dein liebes Bild gemalt, daß ich meinen Jüngsten immer habe wachsen und sich entwickeln sehen. Schöne Photographien halfen mir das liebe Bild oft vervollständigen, das ich von Dir im Herzen trage. So hast Du ohne Deinen Vater ein gut Stück Deines Lebensweges zurückgelegt u. mußt vielleicht noch ein ander Stück ohne mich weiterwandern. Wer kann in die Zukunft blicken! Wer sagt Dir und mir, ob wir uns wiedersehen dürfen!
Aber wir wollen nicht sorgen und nicht zagen. Gerade jetzt, wo ich manchmal keinen Ausweg sehe aus all der schweren Not des Vaterlandes, wo kein hoffnungsfroher Lichtstrahl all das Dunkel um uns erhellen will, da schreibt mir unser liebes, gutes Mütterlein, daß sie sich stark und gesund fühlt. Wenn Gottes Güte die beste aller Mütter Dir erhält, Helmut, dann ist mir nicht bange um Dich und um Deine und Deines Bruders Zukunft.
Paulchen hat ein Tagebuch bekommen, bald nach seiner Geburt. Gern und oft hab' ich von seinem Wachsen und Werden darin festgehalten. Du hast solch ein Buch nicht. Es war ja Krieg. Aber wenn Deine Mutter oder in den paar Urlaubswochen mal Dein Vater das Buch vervollständigt haben, dann ist nie bloß von unserm Ältesten die Rede, sondern allemal auch von Dir, dem heißgeliebten Jüngsten. So gehört denn das Buch Euch beiden. Ich weiß, Ihr einigt Euch später gern darum. Und wenn's wirklich Dein Bruder als der Älteste in Verwahr hat: blättert recht oft gemeinsam darin! Lieben werdet Ihr einer den andern, wie Eure Eltern Euch lieben, den einen so wie den andern. - Das Blatt wird Mutti Eurem Tagebuch einfügen.
Zwei Jahre, Helmut! Lange Zeit! Und doch, wie sind sie geflogen! Und wie hat Gottes Güte über Dir gewaltet! Wenig Sorge hat Deine Gesundheit uns gemacht. Viel Freude aber haben wir an Deinem geistigen und körperlichen Wachstum haben dürfen. Gebe der treue Gott, daß das so bleibe! Ich will dann gern die harte Trennung noch länger ertragen, wenn ich Dich gesund wieder in meine Arme schließen darf, Helmut, Dich und Deinen Bruder Paul. Wieviel Glück ist's für mich doch allemal gewesen, wenn ich mich Eurer lachenden Gegenwart erfreuen durfte! Und wenn die Zeit jedesmal auch noch so kurz war! Ihr seid uns Sorgenbrecher. Euer frohes Kinderlachen, Eure harmlosen Fragen und Euer kindliches Geplauder haben gar oft schon das liebe, gute Mütterlein auf andere, leichtere und frohe Gedanken gebracht. Gebe der treue Gott in Gnaden, daß Ihr beide auch weiterhin unser Trost und unsere Freude bleibt!
Je trüber die Gegenwart erscheint, je banger wir in Deutschlands Zukunft blicken, desto mehr seid Ihr beide unsere Hoffnung. Ich habe das feste Vertrauen, daß Ihr unsere Hoffnungen nicht zuschanden macht. Ich habe ja bisher so wenig für Euch tun können, besonders für Dich, mein lieber Junge. Was ich tat, tat ich für alle daheim, fürs teure Vaterland. Aber vergiß mir nie, was Deine treue Mutter getan hat für Dich! Getan, trotzdem es ihr oft schwer genug geworden ist! Und nun mit Gott hinein ins neue Lebensjahr, mein lieber Bub! Er schütze und schirme Dich weiterhin väterlich! Ich bin und bleibe Dein getreuer
Vater.