Feldpostbrief, 5. Juni 1915
Im Reservegraben vor La Bassée, 5. Juni 1915, Sonnabendmorgen 3/4 3 Uhr.
Mein liebes, gutes Herzensliebchen!
Eine etwas merkwürdige Zeit, wirst Du denken. Aber das ist nun so bei uns, was bei Euch ungefähr 8 Uhr Abends ist. In zwei Stunden gehts nämlich zu Bett. D.h. wenn nichts besonderes mehr vorfällt. Meine Kompagnie hat die ganze Nacht vorn gearbeitet und kehrt um 1/2 4 Uhr zurück. Ich bin schon vor 1 Stunde heimgekommen, weil ich gestern Abend zum Major mußte, ehe ich gegessen hatte. Schade, als ich eben heimkehrte, waren meine schönen Bratkartoffeln, die mir eine Ordonnanz aus dem Kasino gebracht hatte, kalt geworden, u. auch das schöne Sauerkraut aus der Feldküche war kalt, obgleich es mein Bursche warm in Decken eingehüllt hatte. Na, die Bratkartoffeln haben auch kalt geschmeckt u. das schöne Stück Braten dazu schmeckt auch heute Mittag noch zum Butterbrote. Als Nachtisch habe ich dann die beiden Äpfel gegessen u. eine Apfelsine aus Deinem kleinen schönen Pakete vom 27. Mai, das in meiner Abwesenheit angekommen war. Es ist ja eigentlich ein bißchen wenig, in 48 Stunden einmal etwas Warmes! Aber ein guter Magen hilft über allerlei hinweg. Außerdem haben wir uns gestern Nachmittag über einer Kerze in der Feldflasche den Kaffee etwas angewärmt, u. augenblicklich labt mich der warme blaue Rauch einer guten Zigarre, die "den deutschen Offizieren" gewidmet ist.
Etwas enttäuscht war ich bei meiner Rückkehr, als ich außer Deinem Paketchen gar keine Postsachen vorfand. Nach Deinem gestrigen lieben langen Sonntagsbriefe hatte ich ja allerdings kein Recht, schon wieder auf Brief oder Karte zu hoffen. Und doch tut mans so gern. Warum? Weil ich Dich so lieb habe, Schatzi!
Ich weiß nicht, wies kommt, Lieschen, aber ich bin so leicht und froh, wie lange nicht! Das kleine Paketchen ist vom Hochzeitstage. Du hasts so gut gemeint. Und ich bin Dir so dankbar für all Deine Liebe und Treue, Du gutes Mädchen! Am 27. Mai selbst habe ich ja nicht an die Bedeutung des Tages gedacht. Vor lauter Arbeit u. Lauferei gerade an diesem Tage nicht. Aber nachher umso mehr. Und heute, mein liebes Lieschen, nein gestern meine ich, als wir unser kaltes Mittagessen in Gestalt von Butterbrot u. kaltem Tee verzehrt hatten, da sollten Briefe geschrieben werden. Ich lag auf meinem Strohsacke. Wegener u. Himstedt saßen am Tische. "Mein liebes, gutes Lieschen" las Himstedt als Anrede aus Wegeners angefangenem Briefe vor. Ja, Wegeners Frau war lieb und gut. Darum schreibe er so. Und nun war das Thema "Gute Frauen" dran. Und wir alle stellten fest, daß unsere Frauen seien, wie deutsche Frauen sein sollen: treu u. ehrlich, wahr u. rein, fleißig u. sauber u. voll schöner Sorge für Mann u. Kind! Und als bei der Gelegenheit Wegener erzählte, daß er einst im Wäscheschranke seiner Frau ein Sparkassenbuch gefunden über 700 M für seinen Jungen, in das sie nach u. nach von erspartem Haushaltungsgelde eingezahlt, da habe ich mir gesagt, daß Du später zu den vielen anderen Sorgen auch noch die Verwaltung der Kasse wirst übernehmen müssen. Du hasts ja nun gelernt und wirsts auch viel besser machen als ichs je gekonnt.
Nun ists inzwischen 3/4 5 Uhr geworden. Die Kompagnie ist zurück, hat ihre Postsachen erhalten, u. draußen ists hell u. still geworden. Wir drei haben noch eine Flasche Bier getrunken. Wegener u. H. liegen schon auf Ihrem Strohsack, u. ich will auch heute Mittag weiterschreiben. Der Brief geht ja doch erst heute Abend fort.
Merkwürdig! Ihr steht auf! Wir gehen schlafen! Gott sei mit euch und uns!
Dein dankbarer Paul.